Hymne an Die Nacht
fast schon das Original.« Und als sie die Stirn runzelte: »Dieser Wein hat das Land, in dem er gewachsen ist, nie verlassen, er hat keine beschwerliche Reise hinter sich, die ihn durchgerüttelt hat, er ist immer der geblieben, der er war. Das«, seine Stimme wurde bitter, »unterscheidet ihn von meiner Person.«
Sie nahm ihr Glas, in dem sich nichts anderes befand als Rotwein aus den Karpaten, und hielt es gegen seines: »Auf unsere gemeinsame Reise!«
Als ihre Gläser sich berührten, erinnerte der Klang Stanislaw an etwas, das er von früher kannte, doch er wusste nicht mehr, was es war.
Sieben
Im November ging die Sonne auch an der Costa del Sol früh unter, und so hatte Kyrill bereits am späten Nachmittag losfahren können. Als Reisegefährt hatte er aus seinem Fuhrpark den Porsche »Cayenne« gewählt, der eine starke Maschine hatte und fürs Gebirge geeignet war. Die Route führte ihn an der spanischen Ostküste entlang gen Norden. Auf der gebührenpflichtigen Autobahn gab es vor allem nachts kaum Verkehr, sodass er den Wagen voll ausfahren konnte, und sechs Stunden später hatte er bereits Barcelona hinter sich gelassen. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt erreichte er das Städtchen Gerona, von dem er nur wusste, dass es ein beliebtes Touristenziel mit sehr viel Geschichte war.
Da es nicht mehr weit bis zur französischen Grenze war, tankte er den Wagen voll und beschloss, sich in der Stadt etwas umzusehen. Er landete in einer ziemlich schicken Bar, zumindest für dortige Verhältnisse, fand er. Das Lokal war gut besucht. Mit professionellem Blick erkannte er sofort, dass hier alles anders war als in seinem »Dark Side«, die Einrichtung, die Musik, die Gäste. Vor allem die Gäste. Die überwiegend gutaussehenden jungen Frauen wirkten nicht so austauschbar wie jene, die in Marbella als Gespielinnen reicher und mächtiger Männer auftraten, denn diese hier hatten einen ganz individuellen Stil und waren von einer Aura selbstbewusster Gelassenheit umgeben.
Kyrill wusste, dass der Norden Spaniens eine Welt war, die sich von der an der Costa del Sol gründlich unterschied. Er beobachtete das Geschehen in der Bar zunächst voller Neugier, in die sich zunehmend Unbehagen mischte. Er fühlte sich fremd in dieser Umgebung und wollte schon wieder gehen, als sich eine etwa dreißigjährige Frau mit wuscheligen roten Haaren neben ihn auf den Barhocker setzte. Sie schien Stammgast zu sein, denn der Barkeeper begrüßte sie freundlich und wechselte auf Katalanisch ein paar Worte mit ihr, aus denen Vertrautheit sprach. Während er einen Gin Tonic für sie mixte, kramte sie in ihrer Handtasche, zog ein Mobiltelefon hervor und legte es auf den Tresen. Ihre Bewegungen wirkten müde.
Kyrill nutzte die Gelegenheit, sie von der Seite zu mustern. Obwohl sie eher zierlich gewachsen war, erkannte er an ihren Händen, dass diese Hände zupacken konnten. Ihre Aufmachung war schlicht, die gut sitzenden Jeans und die weiße Baumwollbluse unter der dunklen Wildlederjacke zeugten jedoch von einem unaufdringlichen Stilgefühl.
Sie nahm das Getränk entgegen und schien sich erst jetzt seiner Gegenwart auf dem Barhocker neben sich bewusst zu werden. Sie betrachtete ihn ohne Scheu, und plötzlich fühlte er sich mit dem tief aufgeknöpften schwarzen Seidenhemd, in dessen Ausschnitt ein diamantbesetzter Totenkopfanhänger blitzte, seltsam deplatziert.
Ihm war bewusst, dass seine etwas derbe Erscheinung mit der athletischen Figur und den kantigen Gesichtszügen auf manche Frauen sehr anziehend wirkte. Die meisten von ihnen waren jedoch vor allem seinem virilen Raubtiercharme erlegen, diesem sinnlichen Fluidum, das ebenso Lust wie Gefahr verhieß.
»Guten Abend«, sagte sie lächelnd und hob ihr Glas. Es war ein unbefangenes Lächeln, das ihn verwirrte. Sie nahm einen großen Schluck und atmete hörbar aus. »Ich heiße Penelope«, fügte sie hinzu. »Und Sie? Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Es sind fast nur Stammgäste in dieser Bar.«
»Kyrill, mein Name ist Kyrill.«
»Das klingt russisch. Was hat Sie in diese Gegend geführt? Sind Sie auf der Durchreise? Ich habe gehört, dass es die meisten Russen an die Costa del Sol zieht.«
Erstmals wandte sie ihm ihr Gesicht direkt zu. Er blickte in klare, ebenmäßige Züge, deren Attraktivität momentan von Spuren der Erschöpfung beeinträchtigt wurden.
»Ja«, erwiderte er endlich, »ich bin Russe. Und ich bin auf der Durchreise, aber nicht auf dem Weg zur Costa del Sol.
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