Hymne an Die Nacht
verlangen, was über das Übliche hinausgeht. Ich brauche nur einen gewissen Spielraum und vielleicht auch etwas mehr Zeit.«
»Ich verstehe.« Sie zwinkerte ihm kurz zu und bat ihn, die Rechnung im Voraus zu bezahlen. Nachdem diese Formalität in bar erledigt war, klatschte sie in die Hände. Fünf junge Frauen, die offenbar oben gewartet hatten, kamen die Treppe hinunter.
»Natascha, Maria, Adriana, Svenja, Beatrice.«
Alle hatten reizvolle Körper und volles langes Haar, nur ihre Gesichter erzählten eine jeweils sehr unterschiedliche Geschichte. Kyrill tat, als zögere er mit seiner Wahl, dabei hatte er sich längst entschieden. »Natascha bitte.«
Die junge Frau warf der Bordellwirtin einen fragenden Blick zu, die kaum merklich nickte. Natascha wandte sich um, und Kyrill folgte ihr die Treppe hinauf, bis sie in einen langen, schummrigen Flur gelangten. Natascha schloss eine der Türen auf und bat ihn mit einer Geste herein. Sie hatten noch kein Wort miteinander gewechselt. Erst als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sah sie ihm ins Gesicht und fragte auf Spanisch: »Warum haben Sie gerade mich gewählt, Señor?«
Kyrill stutzte einen Moment, dann antwortete er auf Russisch: »Vielleicht, weil du ebenfalls Russin bist … und weil du mich an jemand erinnerst.« Das zweite Mal in dieser Nacht, dachte er bei sich, ohne sich länger darüber zu wundern. Er sah, wie in ihren schräg geschnittenen grauen Augen Furcht aufschien.
»Hast du schlechte Erfahrungen mit unseren Landsleuten gemacht?«
Natascha verzog das Gesicht. »Mit einigen schon.«
»Ich kann es mir vorstellen, aber so etwas wirst du mit mir nicht erleben.«
Sie entspannte sich ein wenig. »Was soll ich tun, was wünschen Sie?«
»Leg dich einfach hin, ich setze mich neben dich, und du hörst dir eine Geschichte an. Alles Weitere wird sich dann finden.«
Sie starrte ihn an. »Sie meinen, ich soll Ihnen einfach nur zuhören?«
»Genau«, sagte er scheinbar gelassen, »das kennst du doch sicher, dass manche Kunden nur reden wollen, oder?«
»Ja, schon, aber …«, wollte sie protestieren, und er begriff, dass sie enttäuscht war, weil er sie anscheinend nicht begehrte.
»Nun mach schon, leg dich hin«, drängte er. Widerwillig streckte sie sich auf dem Bett aus. »Gib mir wenigstens noch einen Kuss«, verlangte sie schmollend.
»Später«, wich er aus.
Er beugte sich über sie, sobald sie ausgestreckt dalag, und versenkte seine Augen in ihre, bis ihre Pupillen starr wurden. Kurz darauf hatte er sie in einen hypnotischen Schlaf versetzt, aus dem sie nicht mehr erwachen würde. Um sich zu vergewissern, dass sie sich wirklich in tiefer Trance befand, bewegte er seine Hand mehrmals vor ihrem Gesicht hin und her. Sie reagierte nicht.
Seine Pläne waren an diesem Abend schon einmal vereitelt worden. Doch mächtiger als den Blutdurst, der jetzt erneut warten musste, empfand er in diesem Moment den Drang, dieser Unbekannten aus seiner Heimat alles anzuvertrauen. Sie würde nicht antworten, nicht widersprechen und keine Fragen stellen, sie würde stumm bleiben bis zuletzt. Bis er es vollendet hätte.
Er begann zu sprechen, er erzählte von Joanna, und als er fertig war, wurde ihm bewusst, dass er eine Liebesgeschichte erzählt hatte. Langsam hob er Nataschas zierlichen Körper zu sich empor, blickte in ihr fast noch kindliches, durch die Trance entrücktes Gesicht und vergrub seine Zähne tief und beinahe zärtlich in ihrer Halsschlagader.
Er trank mit geschlossenen Augen, doch während der Strom dieses warmen jungen Blutes jede seiner Zellen mit neuer Lebenskraft versorgte, sah er wieder Joanna vor sich. Natascha … Joanna … Natascha … und dann war sie für ihn nur noch Joanna, die er endlich, endlich besaß. Er hielt inne, um den Moment, auf den er so lange gewartet hatte, auszukosten. Er flüsterte ihren Namen, bis er sich nicht länger zurückhalten konnte, und mit einer Gier, die er bei keinem seiner früheren Opfer gekannt hatte, beugte er sich erneut über die junge Frau. Mit einer Hand hielt er sie umschlungen wie in einer fiebrigen Liebesumarmung, während die andere über ihre halb entblößten Brüste glitt, ihre Schenkel teilte und in ihr Geschlecht eindrang. Er wollte jetzt alles von ihr, nicht nur ihr Blut, sondern auch ihre Haut, ihren Geruch, ihre Lust und ihren Atem, der immer schwächer wurde, während er weiter saugte und trank. »Joanna«, flüsterte er wieder, bis er spürte, dass der Körper unter ihm schlaff
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