Hymne an Die Nacht
Ich möchte Freunde in Frankreich besuchen.«
Das war nicht ganz gelogen, denn er würde vor Sonnenaufgang Unterschlupf bei einem Vampir in der Provence finden, der zu seinem bestens gepflegten Netzwerk gehörte.
Die Frau namens Penelope erzählte ihm, sie sei Ärztin im städtischen Krankenhaus und habe gerade ihren Nachtdienst beendet. Auf dem Nachhauseweg mache sie meist noch einen Zwischenhalt in dieser Bar, um sich von ihrem anstrengenden Job zu entspannen und auf andere Gedanken zu kommen.
Kyrill horchte auf, er fand diese Entwicklung ihrer Unterhaltung recht interessant. Ob sie sich je an den Umgang mit dem Tod gewöhnen werde, fragte er mit scheinbarer Anteilnahme. Penelope seufzte und blickte in ihr Glas, als könne sie dort die Antwort finden.
Erneut betrachtete er sie von der Seite, und jetzt wusste er, an wen sie ihn erinnerte. Sie hatte Ähnlichkeit mit Joanna. Es war weniger das Äußere, obwohl beide rötliches Haar und diesen irritierend klaren Blick besaßen, es war eine Kraft, die aus dem Inneren strahlte und sich nicht verbiegen ließ.
Kyrill beugte sich kaum merklich näher zu Penelope, und jetzt traf ihn der Geruch ihres Blutes so deutlich, dass es ihn fast schmerzte, ein Alarmsignal für jemanden seiner Spezies. Er musste rasch handeln, denn er hatte noch immer nicht gelernt, seinen Blutdurst zu kontrollieren.
»Ich habe noch kein Hotel für diese Nacht«, sagte er leichthin, »kannst du mir etwas empfehlen?«
Stirnrunzelnd sah sie auf die Uhr. »Es ist fast schon eins, aber ich denke, ich kann etwas für dich organisieren.«
Sie telefonierte kurz auf ihrem Handy in dem katalanischen Idiom, das er nicht verstand, und sagte ihm hinterher, sie habe ihm ein Zimmer in einem der besseren Hotels der Stadt reservieren lassen. Man werde ihn dort bis zwei Uhr früh erwarten.
Kyrill bedankte sich, bestand darauf, beim Begleichen der Rechnung ihren Drink zu übernehmen, und verließ mit ihr das Lokal. Er bot ihr seinen Arm, und sie lächelte ihn dankbar an. Erneut spürte er ihre Erschöpfung. Er würde leichtes Spiel mit ihr haben. Während sie zum Parkplatz gingen, erklärte sie ihm den Weg zu seinem Hotel. Wie immer, wenn er sich kurz vor dem Ziel sah, überkam ihn diese Mischung aus heißer innerer Erregung und großer äußerer Ruhe.
Gleich würde es passieren, und jetzt, mitten in der Nacht und auf einem verlassenen Parkplatz, würde es keine Zeugen geben. Im Widerschein der Straßenbeleuchtung betrachtete er sie nochmals, und einen trügerischen Moment lang glaubte er, Joanna vor sich zu haben, die ihm endlich nicht länger entkommen würde.
Dann ging alles sehr schnell. Ein Ambulanzfahrzeug fuhr mit eingeschalteter Sirene vor, zwei Sanitäter sprangen heraus und liefen ins Lokal. Penelopes Körper spannte sich, alle Müdigkeit schien von ihr abzufallen. Sie machte eine entschuldigende Geste zu Kyrill, folgte den beiden Männern im Laufschritt und ließ ihn stehen.
Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen.
*
Das grellrote Blinken eines kurvigen weiblichen Körpers vor einem schäbigen modernen Gebäude riss Kyrill aus seiner Erstarrung. »Casa de las Flores« war in ebenfalls roter Leuchtschrift an der Fassade zu lesen. Er trat auf die Bremse und landete in scharfem Schwung direkt vor dem Eingang, doch dann parkte er den »Cayenne« auf dem diskreten Areal hinter dem Haus.
»All Credit Cards accepted«, stand an der schmucklosen Tür. Ein typisches Vorstadtbordell, dachte er, in dem sich brave Familienväter und einsame Männer auf der Durchreise den Sex holten, den sie sonst nicht bekamen.
Auf sein Läuten wurde die Tür von einem höchstens dreizehnjährigen Mädchen, das ihn aus schmalen grauen Augen skeptisch betrachtete, einen Spalt weit geöffnet. Gleich darauf wurde sie von einer keifenden Stimme verscheucht. Die Kleine huschte davon, und eine stämmige Frau unbestimmbaren Alters in einer Kittelschürze erschien. Sie taxierte Kyrills Erscheinung in Sekundenschnelle und bat ihn herein.
»Inglés? Español?«, tastete sie sich vor.
»Español«, erwiderte er und zwang sich, ruhig zu bleiben.
»Muy bien, Señor, haben Sie besondere Wünsche?«
Bevor er antworten konnte, klärte sie ihn über die Tarife für die jeweiligen Leistungen auf. Als er sagte, er wolle den vollen Service, weiteten sich ihre Augen einen Moment lang. Sie könne aber keinen Ärger gebrauchen, murmelte sie dann.
»Sie können unbesorgt sein, Señora, ich bin kein schwieriger Kunde, und ich werde nichts
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