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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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dem Mond.«
    Nachdem beide einen Moment geschwiegen hatten, fragte sie: »Hast du den Titel des Films lesen können? Ich verstehe ja kein Rumänisch.«
    »Es ist ein Vampirfilm«, sagte er, »der Titel lautet: ›Tagebuch eines Untoten‹.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Schon seltsam, findest du nicht? Eine Ironie des Schicksals, oder?«
    Sie lachte verhalten, doch da er in ihr Lachen nicht einstimmte, schien es ihr ratsam, das Thema zu wechseln, wozu ihr spontan nichts Passendes einfiel. Schweigend fuhren sie weiter. Nach der letzten Ampel waren sie gut durchgekommen, aber es dauerte nicht lange bis zum nächsten Stau. Stanislaws Hände bewegten sich über dem Lenkrad wie ruhelose Falter. »Was hältst du davon, das hier abzukürzen?« Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Mir fällt gerade diese Filmszene ein.«
    »Gute Idee «, murmelte sie, und im nächsten Moment ging es los. Die Fahrzeugkolonne vor ihnen öffnete sich wie nach einer geheimen Choreographie, bis sich eine breite Gasse gebildet hatte, durch die ihr Geländewagen bequem hindurchgelangte.
    Als sie die Spitze der Kolonne erreicht hatten, die sich gleich wieder hinter ihnen schloss, als wäre nichts geschehen, strahlte Joanna. »Das war ein bisschen wie in einem James-Bond-Film. Du bist zwar nicht James Bond, und wir fahren auch keinen ›Aston Martin‹, aber die Jungs vom britischen Geheimdienst wären sicher begeistert. Keiner der Autofahrer hat gemerkt, was mit ihm geschehen ist, es ging alles viel zu schnell. Wirklich toll, wie wir das hingekriegt haben.«
    Er strich über ihre Wange. »Ohne dich hätte ich das nicht geschafft!«
    Das glaubte sie ihm zwar nicht, aber sie ließ das Kompliment so stehen. Sie lächelte ihn an. »Manchmal kann Teamarbeit richtig Spaß machen.« Die leichte Spannung zwischen ihnen war vorüber, und Joanna wechselte das Thema. »Erzähl mir von dieser Ewa«, sagte sie. »Tomas hat mir gesagt, dass er sie kaum kennt. Ich habe versucht, von ihm mehr über sie zu erfahren, aber er wirkte sehr verschlossen. Was ist da los? Ich verstehe es jedenfalls nicht.«
    »Ewa ist eine der vielen Hexen, die in Rumänien tätig sind, und das gilt hier als richtiger Beruf. Ich habe gelesen, dass der Staat sie neuerdings besteuern will, weil sie mehr verdienen als die übrige Bevölkerung.«
    »Sie ist eine Hexe? Was soll ich mir denn darunter vorstellen?«
    »Es geht um Magie. Die sogenannten weißen Hexen werden wegen ihrer Heilkräfte aufgesucht, die anderen, die schwarzen Hexen, sollen Krankheit, jede Art von Verderben und sogar den Tod über all jene bringen, die von den Kunden als Zielscheibe genannt werden.«
    Joanna überlegte einen Moment, dann lächelte sie. »Das müsste die Politiker, die jetzt ihre Besteuerung verlangen, ziemlich beunruhigen, oder?«
    »Ja, nur ist Ironie hier fehl am Platz. Natürlich gibt es Hexen, die diesen Namen nicht verdienen. Auf diesem Feld haben sich schon immer Scharlatane jeder Art versucht, aber Magie funktioniert, mein Kind, das wissen wir doch beide.«
    »Du weißt es«, blaffte sie ihn an, »ich selbst habe damit nichts zu tun.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte vor sich hin. Da er nichts erwiderte, fuhr sie fort, diesmal in ruhigerem Tonfall: »Ich will damit jedenfalls nichts zu tun haben.«
    Er seufzte. »Und was war das dann gerade eben? Das hatte mit James Bond nicht das Geringste zu tun, das war pure Magie.«
    Joanna senkte den Kopf.
    »Verzeih, ich vergesse immer wieder, in welcher Welt du aufgewachsen bist«, sagte er. »Du konntest es ja wirklich nicht wissen. Aber schon als Kind hast du vermutlich jedes kranke Tier zu dir geholt und dich um jede welkende Pflanze gekümmert, und alles, was in deiner Nähe war, wurde wieder gesund, weil du diese Lebewesen berührt hast, weil du zu ihnen gesprochen hast und weil du ihnen etwas von deiner Energie abgegeben hast.«
    »Du meinst …?«
    »Ja, auch das ist Magie. Und es ist kein Zufall, dass du Ärztin werden willst. Du wirst eine gute Heilerin sein, Joanna.«
    Sie schluckte trocken und sah aus dem Fenster. Nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, glitt der Geländewagen durch eine vollkommen flache Landschaft, durch Haufendörfer mit kleinen, gedrungenen Häusern, deren Bauweise mit den sattelförmigen Dächern und den ornamentalen Verzierungen an den jahrhundertelangen türkischen Einfluss erinnerten. Zwischen diesen Siedlungen erstreckten sich landwirtschaftlich genutzte Flächen, Getreidefelder

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