Hypnose
hat Annabel aus Notwehr gehandelt, vielleicht musste sie sich wehren …«
»Vielleicht, vielleicht, vielleicht … Ganz wie du willst«, stieß Peter ergeben hervor und klickte ein Bild an, das vor ihren Augen aufsprang. »Wonach sieht das aus? Wo soll ich hier eine Notwehr herauslesen? Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf. Die Wohnung ist aufgeräumt, die Gläser stehen heil auf dem Couchtisch. Das ist Heimtücke.«
Inka starrte auf das Foto vom Tatort. Ihr wurde übel. Da war Blut, überall Blut auf dem ehemals schneeweißen Sofa. Jannis hing bäuchlings darauf, so als habe man ihn zuvor gezwungen, vor dem Sofa niederzuknien. Er lag in seinem eigenen Blut, das Gesicht in den Kissen. Eine zerbrochene Weinflasche neben seinem Kopf, überall Scherben.
Inka würgte. »Ich glaube, ich muss …« Sie hielt sich die Hand vor den Mund und rannte auf den Flur hinaus, die Treppen hinunter und zum Ausgang. Draußen vor der Tür übergab sie sich.
»Katinka, bist du etwa wieder schwanger?«
Inka richtete sich auf und sah Andi neben sich. Sie schluckte, ihr Hals brannte wie Feuer. Sie brachte keinen Ton heraus, schüttelte nur den Kopf.
»Ich wollte gerade in die Mittagspause, hab aber meinen Geldbeutel vergessen und bin deshalb noch mal zurück. Kann ich was für dich tun? Mensch, du bist ja ganz bleich. Komm, wir rauchen eine zusammen, und du erzählst mir, was los isch.« Er kramte sein schwarzes Lederetui aus der Jackentasche und hielt es ihr hin. Inka nahm sich zitternd eine Zigarette. Dabei bemerkte sie den Totenkopf in Silberprägung auf der Rückseite des Etuis. Andi hatte schon einen merkwürdigen Humor. Warum benutzte er eine solche Hülle, deren Sinn und Zweck es doch war, die Todeswarnungen auf den Schachteln zu verdecken?
Andi zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Und?«, fragte er einfühlsam. Seine wachen grünbraunen Augen musterten sie interessiert, und sie war versucht, ihm von ihren Verwicklungen im neuesten Fall zu erzählen, aber weil Peter von der Ermittlungsarbeit nicht abgezogen werden sollte, behielt sie besser für sich, dass die Tatverdächtige ihre beste Freundin war.
»Es tut mir leid, Andi, aber ich muss jetzt zu einem Termin.« Sie gab ihm die Zigarette zurück. »Ich rauche eigentlich nicht mehr. Außerdem heiße ich Inka, wie gesagt, nicht Katinka.« Sie lächelte, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war. Aber genau dieses Talent zur Aufmunterung besaß Peters Kollege.
»Wo habe ich nur meinen Kopf?«, schimpfte er über sich selbst. »Kannst du mir noch mal verzeihen? Wo Inka doch ein so schöner Name ist … Schönen Tag noch!« Zum Gruß hob er die Hand mit dem schwarzen Lederetui, und ihr war, als würde sie der Totenkopf hämisch angrinsen.
✴
Sitzen, endlich sitzen. Inka sank in den bequemen Ledersessel. Die weiche Lehne in ihrem Rücken vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Das erste Mal durchatmen seit heute Morgen. Seit vier Stunden wusste sie, dass Jannis tot war und ihre beste Freundin den Mord gestanden hatte. Seitdem war nichts mehr wie vorher! Ihre Gedanken kreisten unablässig um ihre Freunde, die doch noch am Vorabend ihre Gäste gewesen waren. Hatten die beiden sich irgendwie anders als sonst verhalten? Hatte Annabel zum Schluss verärgert gewirkt? Hatte Jannis im Gespräch mit ihr in der Küche etwas angedeutet?
An die Fahrt mit ihrem Moped in den Stuttgarter Norden, wo das Zentrum für Klinische Hypnose am Killesberg in schöner Halbhöhenlage lag, konnte sie sich kaum mehr erinnern. Jeder mit zwei Promille Alkohol hätte wohl zuverlässiger am Straßenverkehr teilgenommen als sie in ihrem momentanen Zustand. Inka bezweifelte, überhaupt die notwendige Entspannung zu finden, um sich jetzt in Hypnose versetzen zu lassen – bis zuletzt hatte sie noch überlegt, den Termin abzusagen. Aber sie hoffte, hier für eine Stunde etwas Ruhe und Abstand zu gewinnen, um anschließend wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Und in dieser Erwartung saß sie nun hier.
Doktor Brinkhus justierte die surrenden Lamellen der Jalousien an der Rundumverglasung so, dass noch genügend Licht hereinkam, um sich orientieren zu können und Inka zudem das sichere Gefühl zu verleihen, die Außenwelt müsse draußen bleiben. In dem großen Raum standen auf weinrotem Teppich zehn im Kreis angeordnete cremefarbene, drehbare Ledersessel für die Gruppentherapie, dazwischen auf kleinen Podesten Salzkristallleuchten, die für angenehme Beleuchtung sorgten. Zu
Weitere Kostenlose Bücher