Hypnose
Hause hätte sie sich so ein Ding nicht hingestellt, aber hier passten sie ins Bild. Einzig störend empfand sie den Geruch nach Mittagessen – Chinesisch, vermutete Inka. So wie die warme Luft draußen stand, half aber auch kein Lüften.
Es war Punkt ein Uhr, als Doktor Brinkhus sich ihr gegenübersetzte und zwei Trinkgläser mit Wasser auf das Podest zwischen ihnen stellte. Vom Erscheinungsbild her war dieser Mann nicht ihr Typ, aber dennoch wirkte er auf eine Art sympathisch, denn er hatte ein offenherziges Lächeln, mit dem er das Vertrauen jeder verängstigten Kinderseele gewonnen hätte, wäre er denn ein Kinderarzt geworden. Doktor Brinkhus war groß gewachsen, ungefähr so wie Peter, hatte aber ein ziemliches Feinkostgewölbe. Seine dichten, bis in den Nacken gewellten dunklen Haare waren an den Schläfen leicht ergraut. Er war älter als Peter, musste jetzt knapp über fünfzig sein. Es war irgendwann im letzten Jahr gewesen, als Annabel erwähnte, zum runden Geburtstag ihres Schwagers ins Schloss Ludwigsburg eingeladen zu sein. Die beiden Fachärzte Evelyn und Walter Brunner hatten keine Kinder und somit zum runden Geburtstag für ihre Gäste gerne tief in die Tasche gegriffen.
Als Therapeut strahlte er eine Selbstüberzeugung aus, die nicht überheblich schien, sondern bewirkte, dass Inka sich ihm gerne anvertraute. Überhaupt fühlte sie sich bei Männern, die Führungsrollen übernahmen, gut aufgehoben, auch wenn sie durchaus selbst eigenständige Entscheidungen treffen konnte und auch mal ihren Dickkopf hatte. Aber für einen Psychologen war – nicht zuletzt aufgrund des frühen Verlustes ihres Vaters – unschwer zu erkennen, warum ihre Wahl auf einen selbstsicheren Mann wie Peter gefallen war.
Doktor Brinkhus lehnte sich zurück und führte die gespreizten Finger an den Kuppen zusammen. »Wie geht es Ihnen? Es ist sehr heiß heute, nicht wahr? Trotzdem ein wunderschöner Tag. Eigentlich der richtige Moment, um in einer Eisdiele ein Eis zu genießen.«
Inka nickte automatisch. Doktor Brinkhus schaute sie über den Rand seiner Brille hinweg an. Es war ein wohlwollender Blick, keineswegs durchdringend oder penetrant. »Heute ist Ihre nächste Einzelsitzung, wie besprochen. Es kann sein, dass Sie während der Hypnose in eine unangenehme Trancephase geraten, und deshalb benötigen Sie besonders meine Führung. Sie müssen mir vertrauen, denn nur ich kann Sie da wieder herausholen. Aber es kann Ihnen nichts passieren. Sie können ganz unbesorgt sein, Sie können sich entspannen, mir vertrauen, indem Sie meinen Worten folgen. Und danach sollten Sie sich wie immer eine halbe Stunde Zeit lassen, bevor Sie wieder am Straßenverkehr teilnehmen. Sind Sie bereit, Frau Mayer?«
Inka lief ein Schauer über den Rücken, und sie erinner te sich an die Therapievereinbarung. Nach einer Erstanam nese war Doktor Brinkhus zu der Einschätzung gelangt, dass die Teilnahme an einer Gruppentherapie zur Raucherentwöhnung durchaus sinnvoll für sie wäre und dies auch therapeutisch zu verantworten sei, da sie durch den Verlust ihres Babys zwar an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, aber keine psychotischen Schübe zu erwarten seien. Darum könne die Hypnose gefahrlos bei ihr angewendet werden. Es stünde nicht zu befürchten, dass sie nicht mehr aus der Trance zurückgeholt werden könne. Um ihre traumatischen Erlebnisse verarbeiten zu können, seien allerdings Einzelsitzungen notwendig. Sechs bis zehn Termine voraussichtlich, Kosten pro eineinhalbstündiger Sitzung neunzig Euro.
Leicht angespannt, aber mit dem Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, signalisierte sie ihm ihre Bereitschaft. Den Gedanken an Annabel und ihren toten Freund versuchte sie zu verdrängen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie fasste sich ein Herz und sagte: »Entschuldigen Sie bitte, Doktor Brinkhus. Ich müsste vorab noch etwas mit Ihnen besprechen.«
»Bitte, nur zu«, forderte er sie freundlich auf.
Inka holte tief Luft, versuchte im Geist Worte zu formulieren. Worte für das unbeschreibliche Geschehen letzte Nacht. »Annabel Brunner, Ihre Schwägerin … sie ist eine meiner besten Freundinnen … und jetzt … Haben Sie schon von ihrer Verhaftung gehört?«
Doktor Brinkhus nickte. Nicht mehr und nicht weniger.
»Die Sache ist … ich kann mir nicht vorstellen, dass Annabel in der Lage ist, jemanden … Und trotzdem hat sie es getan. Und ich … ich bin ganz durcheinander …«
»Weil Sie sich nicht erklären können,
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