Iacobus
nichts meiner reizenden Isabel. Nein, ich hatte keine Ahnung, wer jene verbittert wirkende, hohe Dame fortgeschrittenen Alters war.
»Ganz meinerseits, Señora. In der Tat ist sehr viel Zeit vergangen.«
Wie durch Zauberhand verschwanden meine Beklemmung, meine Ängste und meine Pein. Meine ganze Verwirrung löste sich in nichts auf.
»Wieso erweist Ihr mir die Ehre Eures außergewöhnlichen Besuchs? Ihr habt das ganze Stift wahrhaft in Aufruhr versetzt, und die ehrwürdige Äbtissin weiß nicht recht, was sie über Euch und Eure Dokumente denken soll.«
»Klärt sie darüber auf, daß die Schreiben echt und Rechtens sind. Es kostete mich sehr viel, sie zu bekommen, doch haben sich die Mühen gelohnt.«
»Laßt uns etwas herumgehen, Don Galcerán. Wie Ihr seht, ist Las Claustrillas ein ziemlich ruhiger Ort.«
Im Hintergrund hörte man Vögel singen und das Wasser eines kleinen Brunnens plätschern. Es herrschte Frieden und Gleichmut … sogar in meinem Herzen. So begannen wir durch den Kreuzgang zu spazieren, dessen schlichte und schmucklose Bögen auf Doppelsäulen ruhten.
»Sagt, Señor, wem oder was verdanke ich die Ehre Eures Besuchs?«
»Unserem Sohn, Doña Isabel, dem jungen García Galceráñez, der vor etwas mehr als vierzehn Jahren vor den Toren des Kloster Ponç de Riba ausgesetzt wurde.«
Die hohe Dame unterdrückte ihre Bestürzung, indem sie sie hinter einem spröden Lächeln verbarg.
»Jenen Sohn gibt es nicht.«
»Ihn gibt es wohl. Mehr noch, gerade befindet er sich nebenan im Hospital del Rey und ruht sich von der Reise aus, und ich versichere Euch, daß niemand mit gesundem Menschenverstand leugnen kann, was offensichtlich ist: Er ist Euch wie aus dem Gesicht geschnitten, die Natur hat alles bis in die kleinsten Details getreu nachgebildet. Nur im Charakter, der Stimme und der Statur gleicht er mir. Vor kurzem fand ich ihn dort. Señora, wo Ihr befahlt, ihn auszusetzen.«
»Ihr täuscht Euch, Señor«, stritt sie hartnäckig ab, aber das Zittern ihrer mit Ringen beladenen Hände verriet sie, »wir hatten nie einen Sohn.«
»Seht, Señora, ich scherze nicht und rede auch keinen Unsinn. Vor drei Jahren«, erklärte ich ihr, »brachte man einen von der Lepra befallenen Bettler in mein Spital auf Rhodos. Es blieben ihm nur noch wenige Stunden zu leben, und ich befahl, ihn in den Saal mit den Sterbenden zu legen. Dieser Mann erkannte mich: Es war Euer Leibeigener Gonçalvo, einer der Schweinehirten auf Eurer väterlichen Burg, der jüngste von allen; erinnert Ihr Euch an ihn? Gonçalvo erzählte mir von Eurer Niederkunft Anfang Juni 1303, und er war es auch, der mir erklärte, daß Doña Misol und Ihr ihm das Kind übergabt, damit er es zum weit entfernten Kloster Ponç de Riba brächte, wofür er die Freiheit geschenkt bekam, woraus ich schließe, daß Euer Vater dahintersteckte. Und er sagte mir ebenfalls, daß Ihr die Ordensgelübde der Zisterzienserinnen in diesem Konvent in Burgos abgelegt habt.«
»Das war nicht ich, die an jenem Tag ein Kind gebar!« rief sie vehement aus. Ihre Stimme klang sehr schrill, ein Zeichen dafür, daß sie höchst erregt war. »Es war Doña Elvira, meine Gesellschaftsdame, jene, die Euch mit ihrem Witz immer zum Lachen brachte.«
»Hört auf zu lügen, Señora!« tobte ich. Ich war stehengeblieben und starrte sie an. »Der von Gonçalvo in Ponç de Riba ausgesetzte Knabe trug das in Form eines Fisches aus Gagat und Silber gearbeitete jüdische Amulett um den Hals, daß ich Euch in einer ganz bestimmten Nacht geschenkt hatte. Erinnert Ihr Euch? Seit meine Mutter es mir am Tag meiner Geburt umgehängt hatte, trug ich es immer versteckt unter den Kleidern auf meiner Brust, bis Ihr es unbedingt haben wolltet, da es auf Eurer Haut einen Abdruck hinterließ, wenn ich bei Euch lag. Und auf der Nachricht, die man bei dem Kind fand, um welchen Namen habt Ihr da gebeten, den man ihm bei der Taufe geben sollte? García, denselben, den Ihr mir im geheimen gabt, da er Euch sehr gefiel, seit Ihr ein Gedicht gehört hattet, dessen Held so hieß.«
Isabel, die mich die ganze Zeit mit aufgerissenen und feuchten Augen angestarrt hatte, wurde plötzlich ruhig. Ein kalter Luftzug schien ihren Körper zu durchwehen, ihr Gemüt zu beschwichtigen und ihren Blick zu Eis erstarren zu lassen. Ihre Lippen schürzten sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte, während sie mich geringschätzig betrachtete:
»Na und? Ist es von Bedeutung, daß ich einem Kind das Leben
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