Iacobus
Figur –, zeichnete sich ein Kreuz in Form eines Tau auf der Mauer ab, welche Orias Nischengrab verschloß. Sara versuchte so genau wie möglich hinzuschauen, doch konnte sie nichts entdecken.
»Das Tau! Noch ein Tau!« rief Jonas triumphierend.
»Warum noch eines?« fragte ich überrascht.
»Habt Ihr mir etwa nicht erzählt, daß Ihr in der Kathedrale von Jaca auch eines gefunden habt?«
Noch eines, noch eines, noch eines … Jonas Worte hallten in meinem Kopf wie ein mehrfaches Echo wider. Noch ein Tau. Ja, auch in Jaca hatte ich ein Tau-Kreuz entdeckt, in der Kathedrale, in der Kapelle der heiligen Orosia. Die heilige Orosia, Orosia … Oria, die heilige Oria. Großer Gott! Das war unmöglich! Das war zu schön, um wahr zu sein! Zu offensichtlich! … Die unterschiedlichen Namen der vermeintlichen Heiligen hatten mich verwirrt. Aber bei beiden lag der Schlüssel im lateinischen Diphthong au, welcher wie im Französischen zu einem o geworden war. Au von aureus , dem Gold! Und Oria leitete sich von Aurea ab, was soviel bedeutet wie ›aus Gold‹, und Orosia, Aurosea , ›von der Farbe des Goldes‹, und beide deuteten durch ihre Taus darauf hin! Tau-aureus , wie in der Botschaft Manriques an seinen Waffenbruder Evrard zu lesen stand, ›das Zeichen des Goldes‹. Das war es, was die beiden Löwen auf dem Tympanon der Kathedrale von Jaca demjenigen zuriefen, der ihre Botschaft zu entschlüsseln versuchte!
»Jonas!« rief ich. »Lauf runter nach San Millán de Yuso und suche uns eine Unterkunft für die Nacht. Zu welchem Preis auch immer! Und nimm Sara mit!«
Ich rannte wie ein besessener Verrückter den Berg hinauf und suchte Steine und Äste, die mir als Hammer und Meißel dienen konnten, um in der folgenden Nacht die Grabmauer des armen Mädchens niederzureißen, deren wirkliche Existenz ich allmählich ernsthaft in Zweifel zog. Legenden und Mythen zu bilden, Lebensläufe umzuschreiben, Heilige zu erfinden oder falsche Reliquien zu weihen war ja ein althergebrachter Brauch der Römischen Kirche.
»Ihr habt etwas gefunden, nicht wahr?«
Die Stimme ließ mich vor Schreck zusammenzucken. Ich drehte mich nach links und stand dem Grafen Joffroi de Le Mans genau gegenüber. Sein furchterregendes Auftreten beeindruckte mich aufs neue. Trotz seiner Kleidung, die zweifellos von großer Eleganz war, verliehen ihm seine Beleibtheit und die hervortretende, breite Stirn ein äußerst kriminelles Aussehen.
»Im Grab der heiligen Oria, ist es nicht so?« fuhr er fort.
Warum sollte ich mich aufregen? Vor mir stand der Vertreter des Papstes höchstpersönlich, ein als Soldat verkleideter Johannes XXII. der gierig auf sein Gold wartete. Was auch immer ich gefunden hatte, es gehörte mir nicht, würde auch niemals mein sein; weshalb sollte ich es also nicht preisgeben?
»So ist es«, brummte ich voll Mißfallen, »im Grab der heiligen Oria. Man muß nur die Mauer davor niederreißen. Höchstwahrscheinlich ist es unter der Erde oder hinter irgendeinem Felsen der Grabwände versteckt. Es wird nicht sonderlich schwer zu bergen sein.«
»Dies ist jetzt meine Aufgabe, Bruder. Ihr habt Eure hier erledigt. Setzt Eure Reise fort.«
»Da irrt Ihr Euch, Graf«, rief ich voll Wut aus. »Wir sind überhaupt noch nicht fertig. Falls es Euch interessiert, so ist das, was Ihr im Grab der heiligen Oria finden werdet, nur ein winziger Teil der Schätze, die entlang dem Pilgerweg verborgen liegen. Und ich muß zugegen sein, wenn Ihr das Gold hebt, denn es kann mir irgendeinen Hinweis liefern, der mir bei meiner Suche weiterhilft. Noch mehr Gold werdet Ihr übrigens in der Kathedrale von Jaca finden. Schickt einen Eurer Männer dorthin oder tut, wozu auch immer Ihr Lust habt. In der Kapelle der Stadtpatronin, der heiligen Orosia, vermutlich hinter einer thronenden Madonna versteckt, die ein Kreuz in Form eines Taus in Händen hält, werdet Ihr das bergen können, was womöglich den ersten Teil des Templerschatzes diesseits der Pyrenäen bildet. Doch hört zu: Ich verlange einen ausführlichen Bericht darüber, was dort zum Vorschein kommt.«
Le Mans schaute mich ausdruckslos an. Nach einigen Augenblicken nickte er. Möglich, daß er nur seinen Auftrag ausführte, aber ich verabscheute ihn inzwischen so sehr, daß ich ihn mehr als irgend jemand sonst auf der Welt als meinen größten Feind betrachtete.
»Weder die Frau noch der Junge dürfen dabei sein. Nur Ihr.«
»Sehr gut«, entgegnete ich, drehte ihm den Rücken zu und ging den
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