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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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der Polizei preisgab. Sie würde einen endlosen Albtraum aus Drohungen, Beschimpfungen, verbaler und körperlicher Gewalt ertragen müssen   … und vielleicht noch Schlimmeres.
    »Und selbst wenn«, sagte Lucy leise, mit vor Tränen zitternder Stimme, »selbst wenn ich es täte, verstehst du   … selbst wenn ich der Polizei
sagen
würde, wer es war, sie würden ja trotzdem nicht bestraft.«
    »Also   …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ach komm, Tom, du weißt doch genau, wie das läuft. Selbst wenn ich sie identifiziere und der Polizei die Namen nenne   … ich meine, es spielt doch keine Rolle, wie viele
Beweise
die Polizei hat. DN A-Spuren , Fingerabdrücke, alles Mögliche   … das ist doch alles egal.« Ihre Stimme zitterte noch, aber jetzt mit einem Anflug von Wut. »Dann würden die einfach behaupten, ich hätte
zugestimmt
… ich wär mit allem
einverstanden
gewesen. Du weißt doch, |60| weil ich ja schließlich eine
Nutte
bin   … ich meine, das steht doch draußen an der Tür, oder?«
    Sie wurde jetzt wirklich sauer und ich war versucht, aufzustehen und sie in den Arm zu nehmen, sie einfach nur eine Weile zu halten, aber auch diesmal wusste ich nicht, ob es das Richtige war.
    »Was ist mit Ben?«, fragte ich sie.
    »Ben?« Sie spuckte den Namen fast aus. »Was soll mit dem sein?«
    »Na ja, sie können ja schlecht behaupten, er hätte
zugestimmt
, zusammengeschlagen zu werden.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ben sagt nichts. Der hat doch viel zu viel Angst. Er hat ja der Polizei schon erzählt, dass er ihre Gesichter nicht sehen konnte, weil sie alle Kapuzen und Wollmützen getragen hätten.«
    »Und haben sie?«
    »Haben sie was?« »Kapuzen getragen?«
    Sie sah mich zögernd an. »Ein paar schon   … aber nicht die, die es getan haben.« Schniefend drängte sie die Tränen zurück. »Die
wollten
, dass ich wusste, wer sie waren   … und sie wollten auch, dass ich wusste, wie
egal
ihnen das war. Denen war doch klar, dass ich nichts tun kann.«
    Sie weinte jetzt leise vor sich hin, stumme Tränen liefen ihr übers Gesicht und ich konnte nur dasitzen und mich anstrengen, nicht selbst loszuheulen. So hilflos hatte ich mich noch nie gefühlt. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Sollte ich versuchen, sie zu trösten?
Wollte
sie denn getröstet werden? War trösten überhaupt das, worum es hier ging? Oder sollte ich nur dasitzen und zuhören, wie sie weinte   … einfach nur für sie da sein?
    |61| Während ich über all das nachdachte, spürte ich plötzlich, wie meine Wunde pochte. Anscheinend passierte irgendwas in meinem Kopf, etwas geschah, irgendein mit dem Internet verbundener Teil von mir versuchte zu tun, was er für richtig hielt.
    Aber im Moment wollte ich damit nichts zu schaffen haben. Egal, was es war, egal, was es tat, im Moment war es nicht das Richtige.
    »Ist mit deinem Kopf alles okay?«, fragte mich Lucy schniefend und warf mir einen verwirrten Blick zu. »Wieso macht er das?«
    »Macht er was?«, fragte ich, plötzlich verlegen.
    »Keine Ahnung   …« Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Jetzt hat es aufgehört. Da war irgendwie   …« Sie legte die Hand seitlich an ihren Kopf, genau dorthin, wo bei mir die Narbe war, und bewegte die Finger. »Da hat was geglüht, verstehst du   … da war so eine Art Flimmern   …« Sie sah mich an. »Ehrlich, Tom   … das war total merkwürdig.«
    Ich zuckte die Schultern. »Das war bestimmt nur ein Lichtreflex oder so.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.«
    »Na, fühlt sich zumindest alles total okay an«, sagte ich und rieb mir lässig die Wunde, als ob das irgendwas beweisen würde. »Also, äh   …«, begann ich, um das Thema zu wechseln, aber mir fiel nichts ein, worüber wir hätten reden können.
    »Also   … was?«, fragte Lucy.
    »Nichts   …« Ich lächelte sie verlegen an. »Ich wollte dich fragen, wann du wieder zur Schule kommst   … ist eigentlich ziemlich blöd, das zu fragen.«
    »Hm, keine Ahnung   …«, sagte sie vage. »Hab noch nicht richtig drüber nachgedacht. Irgendwann muss ich wohl wieder |62| hin   … vielleicht nach den Osterferien   … aber im Moment kann ich’s mir überhaupt nicht vorstellen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob ich es mir
je
wieder vorstellen kann. Ich   … irgendwie will ich
überhaupt
nichts mehr. Ich will niemanden sehen, mit niemandem reden, über nichts nachdenken. Ich will nur hier im Zimmer bleiben, hinter geschlossenen

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