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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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der Polizeistation Southwark Borough, und als ich die aufrief, fand ich ein Verbrecherbild im JPE G-Format , das Ellman, wie ich vermutete, in den frühen Zwanzigern zeigte: einen Mann mit kantigem Gesicht und schmalem Mund, rasiertem Kopf und starren, seelenlosen Augen. Man sah darin keine Spur von Gefühlen: keine Angst, keine Wut   … gar nichts. Es war das Gesicht eines Mannes, der so selbstverständlich tötete, wie er atmete.
    In der Dunkelheit meines Zimmers, im Licht der Dunkelheit in meinem Kopf, betrachtete ich dieses Gesicht lange. Und je mehr ich es anstarrte, desto mehr fragte ich mich, für was Ellman alles verantwortlich sein mochte, wie viel Schmerz er verursacht hatte, wie viel Leid   …
    Ich erinnerte mich an Lucys gequälte Worte:
Die haben
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mich zerstört, Tom. Verdammt noch mal, die haben mich echt zerstört.
Und ich fragte mich, für wie viele andere zerstörte Leben Ellman verantwortlich war.
     
    Es war 03:34:42   Uhr, als ich die Wohnung verließ und leise die Tür hinter mir schloss. Ich ging auf Zehenspitzen den Flur entlang, blieb stehen, um die Schuhe wieder anzuziehen, dann lief ich weiter zum Fahrstuhl.
    Meine iHaut glühte.
    Meine Kapuze war hochgezogen.
    Mein Herz war kalt wie Stein.

|158| 10000
    Das Ziel darf die Mittel rechtfertigen, solange es etwas gibt, das das Ziel rechtfertigt.
     
    Leo Trotzki
     
    In der Siedlung war es ungewöhnlich still, als ich das Rasenstück zwischen Compton House und Crow Lane überquerte. Die Hochhäuser, die Straßen, der leere schwarze Himmel   … alles war in diese tiefe Nachtstille gehüllt, die einem das Gefühl gibt, das einzige Lebewesen auf der Erde zu sein.
    Die Nacht war kalt. Mein Atem dampfte in der Luft, die Hände waren eisig und ich spürte das leise Knacken des Frosts unter meinen Füßen. Doch das störte mich nicht.
    Heiß oder kalt   … es machte für mich keinen Unterschied. Ich war wieder im Zustand kontrollierter Brutalität – hatte unter Kontrolle, außer Kontrolle zu geraten – und das Einzige, was ich empfand, war ein alles beherrschendes und unwiderstehliches Gefühl von Notwendigkeit. Hingehen, sie finden, ihn finden   … hingehen, sie finden, ihn finden   … hingehen, sie finden, ihn finden   …
    Ich ging weiter – über den Rasen, durch das Tor in der Umzäunung, die Crow Lane entlang   –, und als ich den Eingang zum Baldwin House erreichte, brachen Stimmen durch die |159| dunkle Stille. Laute Stimmen, Gelächter, das leise Brummen eines Automotors im Leerlauf   …
    Ich sah noch niemanden, doch es war nicht schwer zu erraten, was für Leuten diese Stimmen gehörten – ich meine, wer hing schon morgens um Viertel vor vier am Baldwin House rum   … bestimmt keine Chorknaben.
    Ich hörte den Motor aufheulen, einen Hund bellen, wieder ein lautes Auflachen und dann – als ich von der Crow Lane auf den Platz um das Baldwin House trat – sah ich sie: ein halbes Dutzend Gang-Kids, alle mit Kapuzen und Kappen. Sie standen vor dem Hochhauseingang um einen VW Golf. Ein ausgemergelter Dobermann und ein Staffordshire mit Stachelnieten-Halsband lungerten um den Wagen herum, beide ohne Leine. Ein paar von den Typen schienen noch ziemlich jung zu sein – zwölf oder dreizehn   –, doch die meisten waren so um die siebzehn, achtzehn.
    Ich kannte keinen von ihnen.
    Die Hunde bemerkten mich als Erste, und als sie beide bellend und knurrend auf mich zurannten, beendeten die Typen schlagartig, womit sie gerade beschäftigt waren, und schauten, was los war. Sie sahen mich auf sich zukommen – meine Haut flimmerte, mein Gesicht unter der Kapuze ein mattes Glühen pulsierenden Lichts – und beobachteten irritiert, wie die beiden Hunde auf einmal spürten, dass von mir etwas ausging, was sie halb wahnsinnig machte vor Angst. Sie stoppten etwa zwei Meter vor mir, die Ohren flach angelegt, den Schwanz zwischen den Beinen, dann machten sie sich leise winselnd aus dem Staub.
    »Scheiße, was soll das?«, fragte einer der Typen.
    Als ich weiter auf sie zulief, stellte sich mir ein schwarzer Hüne mit einer Narbe im Gesicht in den Weg.
    |160| »Hey, Scheiße, Mann«, sagte er. »Was willst   –«
    Ich ging einfach weiter, hob den Arm, legte meine Hand auf seine Schulter und riss ihn mit einem Stromstoß von den Füßen. Als er am Boden lag – mit rauchendem Kapuzenshirt und zitternden Beinen   –, trat ich zur Seite und legte meine Hand auf die Motorhaube des Golf. Der Motor lief noch. Der Typ auf dem

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