iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Duft und die Geräusche der Natur aufzunehmen, in mich hineinzuhorchen und mir selbst genug zu sein. Wann hatte ich das letzte Mal einen Termin mit mir selbst vereinbart, um nichts zu tun?
»Müßiggang ist aller Laster Anfang«, schoss es mir in den Kopf. Dieser Satz wurde mir bereits in der Kindheit eingebläut. Danach war das Müßiggehen gleichbedeutend mit Faulheit, der Beginn des Niedergangs und ein Zeichen von Schwäche. Es galt als eines der sieben Hauptlaster in der christlichen Glaubenslehre, die ihrerseits die Todsünden nach sich ziehen könnten. Selbst wusste ich nie, was das für mich als kleiner Junge bedeutete, aber der Tod hatte mir Angst eingejagt. Als Erwachsener legte ich rein rational die Furcht vor den Todsünden ab, wie auch die offizielle Kirchenzugehörigkeit. Aber die negative Bedeutung des Müßiggehens konnte ich wohl nie mehr loswerden.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen und fühlte mich beinahe beschämt, wenn ich nichts »Anständiges« oder Produktives machte. Ich tat aus dem Grunde wahrscheinlich unbewusst immer etwas, selbst wenn ich nichts tun wollte. Alles musste eine Bestimmung haben: Wenn ich an der Elbe laufen ging, dann wollte ich meine Kondition aufbauen. Ich besuchte die Sauna, um die verspannten Muskeln zu lockern und spazierte durch die Natur, wenn der Rücken schmerzte und die Bewegung Aussicht auf Besserung bot. Ich suchte immer ein Ziel oder einen Grund.
Meine Gedanken kehrten wieder ins Treppenviertel zurück. Gemächlich setzte ich meinen Fußweg zum Bäcker fort. Mein T-Shirt war einigermaßen getrocknet, weil ich nun Stufe für Stufe hinaufging und nicht zwei auf einmal. Ich war auch ohne Eile angekommen und empfand den Spaziergang zum Bäcker als bereichernd und entspannend. Ich stellte mich, ebenfalls geduldig, in die Warteschlange, kaufte meine Brötchen und ging zurück zu unserer Wohnung.
Birte hatte bereits alles für das Frühstück vorbereitet. Sie saß gemütlich mit der Zeitung in der Sonne und schien noch nicht einmal auf mich gewartet zu haben oder sich über die lange Zeit, die verstrichen war, zu wundern.
Wir setzten uns an den gedeckten Tisch, auf dem ein bunter Tulpenstrauß und eine brennende Kerze standen.
Birte schaute zu mir hoch: »Du siehst so nachdenklich aus.«
»Ach, mir gingen gerade beim Spaziergang zum Bäcker so viele Dinge durch den Kopf. Dieses ewige mal-eben-schnell.«
»Ich wollte dich vorhin nur ein bisschen aufziehen, nichts weiter«, lächelte sie mich aufmunternd an.
»Hab ich auch nicht anders verstanden.«
Birte schenkte uns Tee ein. »Ingo, weißt du welche Aktion mir im Zusammenhang mit mal-eben-schnell im Kopf geblieben ist? Unser letzter Urlaub vor deinem Burn-out im vergangenen Jahr.«
Ich nahm mir ein Brötchen und schnitt es auf. »Du meinst bestimmt den Weg in den Urlaub, oder?«
Sie nickte nur zustimmend.
Unser grober Plan für den langersehnten dreiwöchigen Urlaub sah vor, uns in den Wagen zu setzen, in Richtung Alpen zu fahren und unterwegs Unterkünfte zu suchen. Ganz entspannt, ohne Buchungen oder Termine. Aber vor den Alpen lag die Mosel in südlicher Richtung. Dort, sechshundert Kilometer von Hamburg entfernt, hatte ich mich am ersten Urlaubstag mit Bekannten zu einer Weinprobe verabredet. Ich hatte es kurzfristig entschieden, ohne mich vorher mit Birte abzustimmen.
Am ersten Urlaubstag klingelte also sehr früh der Wecker. Lange hatten wir zwischen dem letzten Handschlag des Packens und dem Aufstehen nicht geschlafen. Unser Aufbruch in den Urlaub glich einer übereilten Flucht. Wir entflohen aus unserem schönen Zuhause und Umfeld, in dem viele ihren Urlaub verbringen mochten. Nur wir selbst wollten mal wieder woanders sein.
Zwischen Birte und mir herrschte eine ziemlich schlechte Stimmung, weil sie den selbstgemachten Stress als unnötig empfand. Ihren ersten Urlaubstag hatte sie sich anders vorgestellt. Ich mittlerweile auch, aber für einen Rückzieher war es zu spät.
Birte fuhr den Wagen, weil sie mir meinen erschöpften Zustand ansah. Ich war erleichtert darüber, schmiss mir stattdessen als passiver Beifahrer ein Schmerzmittel gegen meine unerträglichen Nacken-, Rücken- und Kopfschmerzen ein und drehte den Sitz nach hinten. Ich versuchte mich zu entspannen. Es gelang mir jedoch nicht, die unzähligen Gedanken an den Job und die Schmerzen zu ignorieren.
In den ersten Stau gerieten wir bereits vor dem Elbtunnel. Wir waren nicht die einzigen Frühaufsteher an diesem Samstag außerhalb
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