iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
nostalgisches Schellen hallte durch einen hohen Altbau, als ich die Klingel der Psychiaterpraxis drückte. Sie verursachte ein sanftes Echo im Flur. Ich trat wartend von einem Fuß auf den anderen, obwohl es bei den spätsommerlichen Temperaturen keine eisigen Füße zu wärmen gab. Ich war unruhig bei meinem ersten Gang auf die Couch, denn ich wusste wenig bis nichts über diesen Berufszweig oder über psychologische Therapien. Ich stand dem, was passieren sollte, trotzdem nicht ablehnend gegenüber. Dafür fühlte ich mich mittlerweile zu schlecht, um noch irgendetwas ablehnend unversucht zu lassen. Alles was Besserung für mich bedeuten konnte, wollte ich annehmen. Bei der geringsten Erkrankung suchten wir doch auch selbstverständlich einen Arzt auf. Nur das, was in uns verborgen lag und vor sich hin kränkelte, was als Seele und Geist tituliert wurde, musste nach der allgemeinen Meinung ausnahmslos selbstheilend sein. Was für eine verquere menschliche Logik.
Der Klang der Praxisklingel war verhallt. Ich erkannte durch die geschliffenen Gläser der hohen Eichentür eine männliche Gestalt schemenhaft auf mich zu kommen. Diese umfasste die massig geschwungene Klinke und öffnete die Tür.
»Herr Schmitz, nehme ich an.«
»Ja, das bin ich. Guten Tag«, erwiderte ich. Ich wollte ihn nicht anstarren, tat es aber trotzdem. Ein rothaariger Mann mit einem fuchsroten Bart stand in der offenen Tür, reichte mir seine schlaffe Hand und senkte sofort den Blick nach unten, um meinem Augenkontakt zu entkommen. RASPUTIN, schoss es mir in den Kopf. So stellte ich mir die von Boney M. im Lied Rasputin besungene Figur vor. Seine Hand fühlte sich so weich wie ein frisch gekneteter Hefeteig an. Ohne Muskulatur, Sehnen oder Knochen, geschweige denn Schwielen von Hornhaut. Am liebsten hätte ich sie fallen gelassen. Außerdem hasste ich es zurzeit, Leuten die Hand zu geben. Meine Handflächen umschloss neuerdings eine unangenehme Feuchtigkeit. Für andere war es kaum auffällig, aber mich störte es gewaltig.
Mein Psychiater Rasputin schritt vor mir durch einen langen Flur. Er füllte seinen schwarzen Designeranzug nicht aus. Dieser wippte bei jedem Schritt mit und verlieh dem statischen Besitzer eine winzige Prise Dynamik. Die einzige Farbe, neben einer prahlerischen Armbanduhr, war ein roter Seidenschal. Der feminine Schal wirkte farblich auf sein rotkrauses Haar abgestimmt. Er versteckte dezent, zweimal um seinen Hals geschlungen, die alternde Haut. Rasputin wirkte widersprüchlich in seiner Erscheinung. Der zerfurchte fuchsrote Bart unterstrich das. Er wuchs löchrig und nicht zu einer gewünschten Dichte. Zumindest erreichte der Bart keine Fülle, hinter der er sich hätte verstecken oder darin verschwinden können. Rasputin wirkte, als würde er das aber am Liebsten tun.
Ra-Ra-Rasputin, hallte der bescheuerte Ohrwurm in meinem Kopf und wollte nicht wieder verschwinden. Das Bild von verstaubten Boney M. Schallplatten meiner Eltern und das Selbstporträt vom rothaarigen Vincent van Gogh mit abgeschnittenem Ohr auch nicht.
Am Ende des Flurs stand eine Tür weit offen, die in einen großen Raum führte. Er zeigte im Zimmer wortlos auf einen Sessel, auf den ich mich wohl setzen sollte. »Darf ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?«, fragte Rasputin monoton und verschwand bereits in den angrenzenden Raum.
»Ich trinke gerne Tee, egal welchen«, rief ich hinterher. Bevor er die Tür hinter sich schloss, konnte ich einen kurzen Blick in die schneeweiße Küche erhaschen. Diese erstrahlte penibel steril in einer Klavierlackbeschichtung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemals in Benutzung gewesen war. Die Markennamen auf den Geräten demonstrierten die anspruchsvolle Qualität deutscher Hersteller. Nichts stand in seiner originalen schnöden Plastikverpackung auf den Regalen. Es reihten sich verchromte Dosen, hohe Aufbewahrungsgläser und Aluminiumkästen exakt aneinander. Jeder Abstand mit dem Maßband ausgemessen und wie im Spind der Bundeswehr, mit den Kanten abschließend, ausgerichtet. Auf dem schwarzen Granitboden vor einem Küchenschrank standen drei gepackte Trolleys einer Designreihe. Sie waren korrekt aufgereiht und wie die Orgelpfeifen nach Größe sortiert.
»Sie fahren in den Urlaub?«, fragte ich etwas verwirrt, als er in den Raum zurückkam. Ich erinnerte mich nicht daran, dass er bei der telefonischen Terminabsprache so etwas erwähnt hatte.
»Sie sind mein letzter Patient. Ich fliege heute Abend in
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