iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
letzten Monaten war ich ständig versunken und gedanklich abwesend gewesen, erinnerte ich mich. Birte hatte mich irgendwann darauf aufmerksam gemacht. In vielen Gesprächsrunden war ich zwar körperlich anwesend, aber ich beteiligte mich nicht an der Unterhaltung. Ich dümpelte in meiner eigenen Welt. Birte warf mir in solchen Situationen einen Rettungsring zu. Sie versuchte, mich durch Fragen in die Konversation zurückzuholen. Besonders bei Leuten, die ich kaum kannte, war ihr mein Verhalten unangenehm. Sie wertete es zu Beginn als blankes Desinteresse gegenüber diesen Personen. Das war jedoch falsch. Die Königin von England wäre ebenso von mir ignoriert worden wie die Fleischfachverkäuferin ums Eck. Sie waren für mich beliebig austauschbar. Ich konnte in solchen Momenten an meinem Zustand nichts ändern.
Ich schlug das Buch nun endgültig zu. Die Tür in meinem Kopf stand sperrangelweit offen und hatte auf Durchzug geschaltet. Alles wirbelte durcheinander und fügte sich nicht passend zusammen.
Beim Blick in den strahlend blauen Himmel überkam mich das Gefühl von Grenzenlosigkeit. Die endlos erscheinende Weite.
Ich hatte als Kind die naive Vorstellung gehabt, dass mein Leben auch unbegrenzte Möglichkeiten für mich bereithielt. Mein Leben hatte mit dem Privileg begonnen, in eine deutsche Wiege gelegt worden zu sein. Die Teller der gutbürgerlichen Küche waren immer randvoll gewesen. Es gab Nachschlag, auch ohne zu fragen oder zu wollen. Als ich heranwuchs verschwand jedoch die kindliche Naivität, denn plötzlich taten sich immer mehr unsichtbare Barrieren auf. Die Plattform meiner Gesellschaft gab zwar theoretisch vieles her, aber es gab immer andere Personen, die bestimmen wollten, ob, wie und was ich erreichen sollte.
Sie wollten nicht nur bestimmen, sondern mich auch noch nach ihren Vorstellungen formen. Dafür bewerteten sie mich zunächst nach den Kriterien einer stinknormalen Nuss: ob sie schön aussah, so wie alle anderen und ob sie hart war. Die Auslegung des Satzes »Sie müssen sich mal eine härtere Schale zulegen« war für mich eindeutig. Kritiker im Job spielten mit solchen Empfehlungen nicht auf meine positiven Eigenschaften an, sondern auf meine angeblichen Schwächen. Sie wiesen mich darauf hin, häufiger mal härter, sprich rücksichtsloser, zu handeln. Und ich sollte nicht alles an mich herankommenlassen.
Aber das war meine ganz persönliche Entscheidung gewesen. Ich wollte keine Machtgelüste durch die mir verliehene Position stillen. Warum sollte ich mich verbiegen, um so zu sein, wie ich gar nicht selbst sein wollte? Was war daran schlecht, sich emotional einzubringen oder gefühlsmäßig involviert zu sein?
Ich war mir außerdem bewusst, dass es im Job viele Konsequenzen gab, die den Mitarbeiter ganz individuell treffen und belasten konnten. Deshalb versuchte ich mit Bedacht, die persönlichen Komponenten anderer Menschen zu berücksichtigen. Was mir nicht immer gleich gut gelang, weil ich nicht alle Personen gleichermaßen schätzte. Aber mein Anspruch und Bemühen waren zumindest da. Man konnte nicht mit der Axt durch den Wald gehen und sich nachher über den Kahlschlag wundern.
Sind deshalb mitfühlende, engagierte, sensible und soziale Menschen häufig nur noch theoretisch in unserer Gesellschaft gewollt, weil sie in der Handhabung nicht praktikabel sind? Wollen wir stattdessen lieber eine Gesellschaft von abgestumpften, ignoranten, oberflächlichen und gleichgültigen Bürger, die ansonsten im Leben und im Job nicht bestehen können?, stellte ich mir die Frage, als ich immer noch versunken auf die Elbe schaute. Wie spitz mussten die Ellenbogen sein, um unbeschadet oder vorteilhaft durchs Leben zu kommen?
Die Kälte der Parkbank kroch in jede Muskelfaser, aber ich wollte nicht zurück in die Wohnung gehen. Ich sträubte mich gegen das Frieren und blieb beharrlich sitzen.
Auch wenn ich mir keine härtere Schale zulegen wollte, war ich selbst die meiste Zeit zufrieden mit mir gewesen, dachte ich. Was machen Sie beruflich?, war eine Frage, die ich immer ehrlich beantworten konnte.
»Ich arbeite im Marketing-Bereich«, kam die schnörkellose Tätigkeit über meine Lippen. Marketing umschrieb sowieso alles und nichts. Ältere Leute oder solche, die nicht direkt mit diesem Aufgabenfeld zu tun hatten, wussten nichts damit anzufangen. In der alten Zeit hieß es noch Reklame- oder Werbeabteilung und war ein beliebter Bürojob. Aber die Komplexität war für
Weitere Kostenlose Bücher