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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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die mir nicht gut taten und mir Energie raubten. Sie hatten viel Raum in meinem Leben eingenommen. Es gab Menschen, sowohl im beruflichen wie auch im privaten Umfeld, die immer bewusst versucht hatten, mich »klein« zu halten, um sich selbst in eine stärkere Position zu bringen. Obwohl ich viele Dinge erreicht hatte, erhielt ich von diesen Menschen keine klare Anerkennung, nach der ich aber häufig gestrebt hatte. »Zuckerbrot und Peitsche« war ihr funktionierender Umgang mit mir gewesen. Meine Schattenkämpfe machten plötzlich Sinn, wie auch der unterschwellige Druck, den ich in der unmittelbaren Vergangenheit permanent gespürt hatte. Die Glorifizierung einiger Personen und die damit verbundene Selbsttäuschung fand in vielen Gesprächen mit meiner Psychologin ein jähes Ende. Ich erarbeitete mir auf vielen vollgekritzelten Zetteln, die ich zwischen den Therapiesitzungen zu Hause erstellte, neue Zusammenhänge.
    Ich analysierte und meine Psychologin half mir dabei. Sie stellte Fragen, die mir Antworten auf die Lippen legten. In jeder Stunde der Gesprächstherapie tat sich etwas bei mir. Danach fühlte ich mich physisch und psychisch wie ein beanspruchter Muskelstrang nach einem Marathonlauf, der nach einer Ruhepause japste. Mir wurde dadurch wieder klar, wie sehr sich Körper, Geist und Seele als gleichwertige Partner gegenseitig bedingten und wie fest sie miteinander verflochten waren. Mein Körper konnte solange nicht gesund werden, wie mein Geist und meine Seele es auch nicht waren.
    Die Therapie war wie harte Arbeit: anstrengend, traurig, ernüchternd, enttäuschend und teilweise schockierend. Sie war keine wohltuende Behandlung, wie eine sanfte Massage, sondern glich eher einer Wurzelresektion beim Zahnarzt, bei dem der Schmerz vor der Besserung kam.
     
    Eine laute Brandung riss mich aus meinen Gedanken. Das Buch auf meinem Schoss war zur Seite gerutscht, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ein mächtiges Containerschiff glitt durch die Elbe. Die Bugwellen kräuselten sich sanft, um dann überraschend heftig auf den Strand zu brechen. Die Parkbank fühlte sich unter mir kalt an. Ich stand trotzdem nicht auf.
    Der Begriff Burn-out war bisher nicht offiziell in der Firma gefallen, dachte ich über meine Jobsituation nach. Langsam sickerten zwar Gerüchte durch, dass ich, wie der Volksmund es ausdrückte, »psychisch angeknackst« wäre, aber eben nur in Form von unbestätigten Gerüchten. Die Struktur einer Großstadt gewährte mir eine gewisse, anonyme Verschwiegenheit. Es gab wenige Orte außerhalb der Arbeit, an denen ich mich anderen gegenüber rechtfertigen musste. Und die wenigen, die es gab, mied ich. »Was sollen denn die Nachbarn denken« war nach meinem Verständnis eher in kleinen und überschaubareren Wohngefügen verwurzelt, eher in Strukturen vorhanden, wo Leute hinter den Gardinen nach draußen zum Nachbarn schauten, weil das Leben der anderen ihre Langeweile unterbrach. Oder sie guckten, weil sie nichts Sinnvolles taten oder tun konnten, was ihre Aufmerksamkeit fesselte. Manche schauten auch aus dem Fenster, weil sie zu allem ihren Kommentar abgeben mussten. Manchmal dachte man auch nur, die Gardinen würden sich bewegen, dabei hatte jeder mit seinem eigenen Kram genug zu tun.
    Wir, als Bewohner einer Großstadt, fanden unsere kleine Nachbarschaft eher im Job wieder. Für uns war die Firma mit den Kollegen, Geschäftspartnern und dem beruflichen Umfeld das zusammengewürfelte Dorf. Hier vereinten sich viele soziale Schichten, unterschiedliche Interessen, Charaktere, Berufsfelder und Altersstrukturen. Die Flure der Firma waren wie die Gartenzäune eines Dorfes, über die Neuigkeiten ausgetauscht wurden und ihre Runde machten. Wenn überhaupt, dann war es in der Firma, wo ich mich rechtfertigen und meine Krankheit positionieren müsste. Aber da ich nicht wusste, wie es mit mir weitergehen würde, ging ich mit meinem Burn-out nicht hausieren. Ich wollte mich keiner Diskussion, Rechtfertigung oder Beurteilung aussetzen. Und offen stehende Türen sollten nicht unnötig zugeschlagen werden. Ich wusste, dass eine anhaftende Krankheit ein generelles Stigma in unserer Gesellschaft war, und eine psychische klebte besonders hartnäckig, selbst nach vollständiger Genesung. Die Leistungsfähigkeit sank während der Krankheit, egal wie sie aussah. Und wer nichts leistete, gewissermaßen den kollektiven Beitrag nicht erbrachte, war in den Augen der urteilenden Masse irgendwann kaum tragbar. Da war es

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