iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
und reiche Vielfalt bestach. Die Mexikaner liebten ihr Essen und bereiteten es auch für andere stets mit liebevoller Sorgfalt zu. Kulinarisch war es ein Paradies und von der US-amerikanischen Variante des Tex-Mex meilenweit entfernt.
Birte und ich genossen es immer mehr, uns einfach in einer fremden Kultur treiben und einzulassen. Ohne Erwartungen und klaren Vorstellungen. Langsam kamen wir in eine selbstgetaktete Reisegeschwindigkeit. Das erste bewusste Mal nach zehn Monaten! Wir legten es ab, von unsichtbaren Händen irgendwohin gedrängt zu werden, wie beispielsweise zu Sehenswürdigkeiten, die ALLE Touristen besuchten.
Es legte sich auch regelrecht ein Schalter in unseren Köpfen um. Als wäre das Gehirn total ausgeruht aus einem Tiefschlaf erwacht. Unsere Aufmerksamkeit schärfte sich und wir nahmen wieder intensiver Situationen, Landschaften und Menschen wahr. Alte Erinnerungen sprudelten regelrecht an die Oberfläche, an die wir seit Jahrzehnten nicht mehr gedacht hatten. Dazu gehörte beispielsweise mein erstes Baumhaus, dass ich mit meiner Sandkastenfreundin aus längst vergessenen Zeit gebaut hatte. Birte erinnerte sich wieder daran, wie sie mit ihrem Opa Schwarzer Peter gespielt hatte. Der Verlierer bekam die Nasen und Wangen mit Kohle aus dem Ofen geschwärzt. Wir brauchten manchmal gar keine Bücher zu lesen, sondern erzählten uns die eigenen Geschichten. Erlebte Erinnerungen, die für einen selbst überraschend neu schienen.
Neue Gedankengänge offenbarten sich, indem wir selbst Ideen und Meinungen entwickelten. Keine, die wir zuvor gehört oder gelesen hatten, sondern eigene. Denn wir hingen nicht mehr am täglichen Nabel der Medien, wo uns diverse Meinungen mundgerecht vorgekaut wurden und wir eine unter vielen auswählen konnten.
Von der Baja California setzten Birte und ich mit einer alten Fähre über die Cortes-See auf das mexikanische Festland über. Wir landeten zufällig in dem Ort »El Fuerte« und parkten unseren Camper sicher auf einem Bauernhof, der von zwei großen deutschen Schäferhunden namens Hillary und Hitler bewacht wurde. Deren mexikanischen Besitzer hatten uns dazu eingeladen, denn wir wollten ein Stück mit dem Zug weiterreisen, um einige Tage in den Kupferschluchten im nordwestlichen Teil Mexikos, in der Bergregion Chihuahua, zu verbringen.
Wir hatten uns generell entschieden, nicht alle Strecken auf der Reise mit dem eigenen Fahrzeug zu fahren. Es gab viele interessante Alternativen: auf Ladeflachen von Pick-ups oder Lastwagen mitgenommen zu werden, in Reisebussen mit Schafen auf dem Dach zu reisen, sich in kleine Privatbusse zu zwängen, auf dem Eselkarren mitzufahren oder einfach zu Fuß Strecken zu bewältigen. Es gab vieles, was zur Fortbewegung taugte und alles war auf seine Weise interessant.
Wir fuhren mit dem Zug, kurz CHEPE genannt, dem »Ferrocarril de Chihuahua al Pacifico«, acht Stunden bis zu dem einsamen Bahnzwischenstopp »Divisadero«, wo wir ausgestiegen. Ein gigantisches Schluchtensystem tat sich vor uns auf. Es war eine Landschaft, die vor Millionen Jahren aus Lava- und Aschemassen entstanden und durch Erdbeben gefaltet worden war. Wasser hatte bis zu zwei Kilometer tiefe Täler geschliffen. Und das kupferfarbene Gestein gab diesem größten System Nordamerikas den passenden Namen: Barranca del Cobre, Copper Canyon oder Kupferschlucht. Nahezu jeder kannte theoretisch den Grand Canyon des nördlichen Nachbarn, doch diese wunderschönen Canyons kannte kaum einer, obwohl sie um ein vielfaches größer waren.
Wir schauten in eine nicht enden wollende Weite von Tälern. Wenn Touristen sich in dieses abgelegene Gebiet verirrten, dann hauptsächlich wegen dieses Blickes. Die farbigen Erdschichten zeichneten mit der grünen Vegetation aus Sträuchern, Kakteen und Bäumen zarte Konturen, die ineinander flossen. Die weißen, aufgequollenen Wolken lagen wie eine schützende Hand auf den oberen Rändern der Schluchten. Sie erschienen uns zum Greifen nah. Darüber schloss sich in unendlicher Weite der stechend blaue Himmel an.
Die Haltestelle des Zuges bestand aus Souvenirständen und Kochstellen, die unter einfach zusammengenagelten Verschlägen standen. Die Glut rauchte in halbierten Metalltonnen, auf denen Fleisch auf Drahtzaunkonstruktionen brutzelte. Große Töpfe mit Suppen oder gefüllten Maistaschen, die im heißen Wasserbad kochten, standen auf gusseisernen Öfen. In Pfannen wurden Füllungen für die Tortillas, den warmen Maisfladen, gebraten.
Weitere Kostenlose Bücher