iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
weiterzureichen. Ihre Kinder griffen sich das warme Essen und bissen hastig hinein. Die Fladen verschwanden blitzschnell in den Mündern. Als hätten sie Angst, jemand könnte ihnen das Essen wieder aus dem Mund kratzen, schlangen sie die zerkaute Masse aus ihren dicken Wangen herunter und stopften mit ihren kleinen Fingern nach. Die hungrige Gier und der Rest ihres Weinens ließen sie kurzzeitig husten.
Mein Hals zog sich zu und mir stiegen Tränen in die Augen. Es war nicht das Geschrei von Kindern gewesen, die quengelnd etwas haben wollten. Sie hatten schmerzenden Hunger und ihre Mutter besaß weder Geld noch Proviant für die lange Fahrt.
Birte und ich konnten nicht miteinander sprechen, weil sich die passenden Worte noch nicht gebildet hatten. Der Anblick der schlingenden Kinder mit dem Mund voller Tortilla beschämte uns so sehr.
Ich guckte auf unsere angebrochene Kekspackung im Gepäcknetz im Sitz vor uns. Auf dem Boden in einer Tüte lagen noch unberührte Bananen, weitere verschlossene Wasserflaschen, Kekspackungen und das leere Papier unserer Käsebrote. Wir hatten seelenruhig gegessen und nicht bemerkt, dass neben uns hungrige Menschen saßen. Es war uns nicht einmal aufgefallen.
Nur wenige Meter trennten uns physisch in diesem Moment voneinander, aber in jeglicher anderer Hinsicht waren es Welten.
Die Tarahumara-Familie stand auf, nachdem alles aufgegessen war. Die Mutter verschwand tief gebeugt mit einem Kind an der Hand und dem anderen im Tragetuch in den zugigen Durchgangsraum zwischen den Abteilen. Nur ein zusammengeknoteter Stoffbeutel blieb auf ihrem Sitz zurück. Im kalten Durchgang entkam sie während der gesamten Fahrt den Blicken der anderen. Sie verschwand wieder hinter ihrem unsichtbaren Schutzwall und befand sich da, wo sie immer stand: abseits von allen anderen, abseits der Gesellschaft. Ihr Anderssein durch ihre Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit und ihre Armut schlossen sie aus.
Nun saßen wir in dem Zug, um das Gebiet der Tarahumara zu verlassen. Das Erlebnis mit der Frau und ihren Jungen stand exemplarisch für viele Begegnungen, die wir im Gebiet der Tarahumara erlebt hatten. Sie erhielten nun für uns eine tiefere Bedeutung.
Wir hatten einen Einblick in ein Leben erhalten, zu dem wir – bedingt durch die Gesellschaftsschicht, in der wir in Deutschland lebten – größtenteils keine Berührungspunkte besaßen. Vor uns hatte sich keine Episode einer Fernseh-Soap abgespielt; es wurde auch keine Dokumentation über Armut gezeigt, die wir mit Abstand vom bequemen Sofa aus ansehen konnten. Der Schutzmechanismus des Abstands, den wir in Deutschland normalerweise eisern hegten oder unterbewusst aufbauten, war weg.
Uns wurde erneut klar, dass die Zeit, die wir bisher auf dieser Welt verbringen durften, immer die Sonnenseite gewesen war, egal welche Wolken sich manchmal auch davor geschoben haben mochten. Das Privileg der Geburt und unserer Herkunft hatten wir dabei weder selbst erarbeitet noch verdient. Es war lediglich ein Zufall der Natur gewesen.
Manchmal verfiel man in eine selbstgefällige Denkweise, laut der alle in einer Gesellschaft auch alles schaffen könnten, wenn sie es nur aufrichtig wollten. Doch diese Begegnung und unzählige andere Erlebnisse hielten uns die unverhohlene Wahrheit vor Augen. Die abseitsliegenden und unfruchtbaren Kupferschluchten waren nicht nur der Lebensraum dieser ethnischen Minderheit; sie symbolisierten auch ihren Platz am Rande der Gesellschaft. Wir hatten hautnah erlebt, dass es Menschen gab, die ohne eine Chance und ohne einen festen Platz in der Welt geboren wurden.
In Mexiko – aber auch in Deutschland!
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I ch bereitete das Frühstück in unserer Küche vor, während Birte sich für die Arbeit fertig machte. Das Rauschen der Dusche drang durch die Wand zu mir.
Birte und ich hatten das gemeinsame Frühstück schon immer als die erste freie Zeit des Tages empfunden, dachte ich beim Blick auf die Brote. Wir mochten es, gemeinsam am Frühstückstisch wach zu werden, uns auf den Tag einzustimmen und die ersten verschlafenen Wörter aus der Kehle zu krächzen. Wir planten immer genügend Zeit ein, egal wie früh wir dafür aufstehen mussten. Es gab ein Wort für Feierabend, aber komischerweise keines für die schöne Zeit vor der Arbeit. Ich fragte
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