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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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erkundet hatten, war lange vorbei. Als wir uns als Nachbarn kennengelernt hatten, kratzten wir gerade mal die Dreißig. Danach waren wir beide die sogenannte Karriereleiter immer weiter schwindelfrei nach oben geklettert und wussten, wie steil und brüchig sie sein konnte.
    Als wir unsere Getränke bei der Kellnerin bestellt und uns auf den neusten Stand der Alltäglichkeiten gebracht hatten, erzählte ich ihm das erste Mal von meinem Burn-out. Ich brauchte nicht zu überlegen, was ich von meiner Krankheit erzählen konnte. Denn echte Freunde öffneten sich gegenseitig und erlaubten dem anderen einen Blick auf die Seele. Das tat ich. Wie ein offenes Buch lag ich vor ihm, schlug ein Kapitel nach dem nächsten auf und ließ nichts weg. Selbst wenn ich ihm etwas hätte vorspielen wollen, hätte er mich durchschaut, so gut kannte er mich. Er schaute nicht nur auf mein Äußeres, sondern spürte auch meine Stimmung.
    Als er erfuhr, wie schlecht es mir ging und dass ich momentan nicht einmal arbeiteten konnte, wirkte er bestürzt. Die Zeit war vorbei gerast, ohne dass er irgendetwas von meiner Krankheit mitbekommen hatte.
    In unserem Gespräch stellte er mir Fragen und ermutigte mich dadurch, weiterzuerzählen. Es verlief so, wie ich es mir erhofft hatte. Er verstand mich und war nicht nur an mir, sondern auch an meinen Problemen interessiert. Ich konnte mit ihm nicht nur gute und fröhliche Zeiten teilen, sondern fand auch jetzt Unterstützung und Mitgefühl. Alles andere wäre für mich eine bittere Enttäuschung gewesen, denn uns verband etwas viel Tieferes. Eine Art Seelenverwandtschaft.
    Die Stunden verstrichen, während wir im Café miteinander sprachen. Wir waren von unserem Gespräch gefesselt. Keiner schaute auf die Uhr. Eine vertraute Harmonie umgab uns, die ich sehr schätzte. Schade, dass wir immer so wenig Zeit hatten, dachte ich still bei mir, obwohl ich beim Inhalt meines gedachten Satzes selbst meine Zweifel hegte. Es tarnte sich mittlerweile vieles hinter dem Zeitproblem. »Keine Zeit haben« war zu einer Standardaussage geworden. Sie wurde kaum mehr angezweifelt, denn schließlich hatte jeder nur freie Zeit, wenn er nicht arbeitete. Und viel Arbeit war, zumindest in den Augen vieler Menschen, erstrebenswert, brachte Anerkennung und galt vielfach als das Wichtigste. Aber war Zeitmangel auch ein guter Grund, seine Freunde aus den Augen zu verlieren?
    Das erste Mal nach Stunden des Redens guckte ich mich im Café um. Alle Tische waren nun besetzt, denn es war längst späte Mittagszeit. Der Vormittag war wie im Flug vergangen.
    Mein Gegenüber schaute mich über den Tisch hinweg an. »Du weißt, wenn du oder Birte Unterstützung brauchen, sind wir immer für euch da. Egal wann, egal wie«, bot er mir an.
    »Ich weiß.« Auch ohne seine Worte wusste ich das.
    Für uns waren Freundschaften und soziale Beziehungen nie etwas gewesen, was mit einer Waage zu messen war. Nach dem Prinzip: Gab der eine etwas, musste der andere nachlegen, bis das Maß wieder ausgeglichen stand. Dafür war die selbst gewählte Beziehung zwischen Freunden viel zu komplex. Was wog denn mehr, die Einladung zum Essen oder das positive Lebensgefühl, das einer versprühte, ohne dass er kochen konnte? Was hatte mehr Gewicht, die geteilten Sorgen oder begehrte Fußballtickets? Einer spielte gern Musik, während der andere ansteckend lachte. Das Geben und Nehmen war so verschieden, dass es nicht miteinander zu vergleichen war. Nichts wog mehr, aber auch nicht weniger.
    Dabei gab es unterschiedliche Motive und Tiefen von Freundschaften. Manche Verbindungen dauerten nur einige Jahre, weil ein gemeinsamer Zweck verfolgt wurde. War das Ziel einmal erreicht, erfolgte schleichend die Trennung und man verlor sich aus den Augen. Oder die positiven Empfindungen füreinander kippten, wie die Milch nach dem Verfallsdatum, die erst leicht säuerlich schmeckte und wenig später die kleine Ausgussöffnung durch dicke Flocken verstopfte.
    Manchmal verliefen sich Freundschaften aber auch in Gewohnheiten. Jahre über Jahre vergingen, in denen das Fundament langsam brüchiger wurde. Es gab manchmal nichts, was den Verfall aufhalten konnte. Das brüchige Fundament erhielt nichts Neues, was für Weggebrochenes herhalten konnte. Im Laufe meines Lebens hatten sich unterschiedliche Personen durch Hobbys, Ausbildung, Jobs, Urlaube oder Nachbarschaften angesammelt. Einige traten neu in mein Leben, andere verließen es. Es gab auch Menschen, die sich regelrecht

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