iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
mich, warum es fehlte oder ich es zumindest nicht kannte?
Jetzt, wo ich krank zu Hause blieb, wollte ich auf keinen Fall mit dieser liebgewordenen Gewohnheit brechen und im Bett liegenbleiben. Ich sehnte mich nach einem alltäglichen Ablauf, und wenn es nur das gemeinsame Ritual am Morgen war. Wann ich wieder arbeitsfähig sein würde, konnte ich nicht einschätzen. Ich machte die Gesprächstherapie mit meiner Psychologin und wurde gleichzeitig mit einem Psychopharmakon behandelt. Es brauchte Zeit, Geduld und Ausdauer, bis sich erste Anzeichen von Besserung zeigen würden, so hatten es meine Ärzte bereits prophezeit.
Ich fühlte mich, seitdem ich das Medikament einnahm, auf eine unbestimmte Art sicherer. Die Angst, dass mein Körper der Anspannung und dem inneren Druck nicht mehr standhalten könnte, verschwand. Das Medikament glättete behutsam die aufbäumenden Wellen meines Gemütszustandes. Es trieb mich nicht mit einer unsichtbaren Peitsche an, wie es die ersten Pillen getan hatten. Es baute eine Art Schleuse zum Regulieren meiner Stimmung ein, die nun nicht mehr, wie bei einem Wasserfall, mit einem gewaltigen Getöse in die Tiefe rauschte. Der Höhenunterschied und die Fließgeschwindigkeit wurden stattdessen angepasst. Ich befand mich in ruhigerem Fahrwasser.
Mein Herzmuskel schien sich auch zu entkrampfen. Nur noch selten legte sich eine unsichtbare Hand um das schlagende Herz, weil es dies zerquetschen wollte. Mein Herz schlug wieder schmerzfreier und ohne ins Rasen zu verfallen. Die traurigen Beispiele von Herzinfarkten, Schlag- oder Todesfällen, die es in meiner näheren Umgebung gegeben hatte, verschwanden wieder aus meinem täglichen Bewusstsein. Ich wusste noch um die Gefahr, weil ich als Vierzigjähriger geradezu prädestiniert dafür war, aber ich spürte sie nicht mehr permanent.
Kurz nach unserem gemeinsamen Frühstück fuhr Birte zur Arbeit und wie jeden Morgen rückte der Bautrupp an. Unsere Wohnung war nach all den Wochen immer noch eine Baustelle. Genauso wie meine Krankheit bliebt auch sie länger als erwartet. Der staubige Bauschutt verfolgte als ständiger Weggefährte mein Burn-out, die Hammerschläge meine innere Leere und die Säge meine Kraftlosigkeit. Mich umgaben fremde Leute, obwohl ich noch nicht einmal bekannte Gesichter sehen wollte. Auch wenn sie im hinteren Teil der Wohnung arbeiteten, fühlte ich mich durch ihre Anwesenheit unwohl, denn irgendwo kreuzten sich immer unsere Wege oder zumindest kurze Blicke.
Mit dem ersten lauten Hammerschlag verließ ich die Wohnung. Ich war froh, eine Verabredung zu haben. Ein alter Freund wartete auf mich.
Monatelang hatten mein Freund und ich uns nicht alleine gesehen, was wir bei unserem Wiedersehen im Café entsetzt feststellten. Die wenigen Male, die wir uns getroffen hatten, waren immer andere dabei gewesen. In solchen Runden sprachen wir über lustige Dinge, kaum über die Jobs und schon gar nicht über problemtriefende Themen. Sein Lebensrhythmus mit seiner Frau und einem Kind schlug außerdem anders als Birtes und meiner ohne Nachwuchs. Und die viele Arbeit tat ihr Übriges, um sich selten bis gar nicht zu sehen.
Unsere Freundschaft war trotz der seltenen Treffen nie vollständig erkaltet. Wir hatten in den Jahren zuvor etwas aufgebaut, das sich nun wieder zeigte: Die positive Beziehung zu und Empfindung für einander, unwichtig, wie lange wir uns nicht gesehen hatte. Das machte wohl Freundschaft aus. Es bestand zwischen uns keine Zwangsbindung per Geburt durch familiäre Verknüpfungen, wo es heißt »Blut sei dicker als Wasser«. Wir hatten uns selbst ausgewählt und waren damit Blutsverwandte im Geiste.
»Du siehst schlecht aus«, sagte mein Freund ohne Umschweife in der ersten Minute unseres Treffens. Sein schelmisches Lächeln war einer interessierten Ernsthaftigkeit gewichen. Er merkte wohl, dass etwas anders war als sonst. Denn normalerweise war er eine geladene Kanone, aus der unablässig Sprüche schossen. Mal mehr, mal weniger lustig, aber immer unterhaltsam. Nun wirkte er eher still.
»Danke, dass du mir auch noch sagst, wie schlecht ich aussehe«, antwortete ich und lächelte ihn dabei an.
In den letzten Monaten waren wir beide unverkennbar gealtert. Ich sah sowieso schlecht aus, das wusste ich. Aber auch bei meinem Freund schossen mehr graue Haare aus dem Kopf und seine Falten reduzierten sich nicht mehr nur auf Lachfalten. Die Zeit, in denen wir mit unseren alten Vespas die damals neue Wahlheimat Hamburg
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