Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
Vom Netzwerk:
sie ließ sich gleich wieder zurücksinken.
    »Was ist?« fragte Jack.
    »Hmmm?«
    »Es sah so aus, als hätten sie mich irgend etwas fragen wollen. Bitte, nur zu. Alles, was Ihnen einfällt, könnte von Bedeutung sein.«
    Patience McCoy lachte kurz und heiser auf. »Daß es von Bedeutung ist, kann man nicht gerade behaupten«, sagte sie. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas dagegen haben, wenn ich mir eine Tasse Kaffee mache. Das ist nicht sehr professionell, ich weiß, aber wenn ich nicht bald eine Dosis Koffein kriege, schlafe ich am Ende noch auf diesem ausgesprochen bequemen Sessel ein.«
    Jack nickte und bat sie, sich einen Moment zu gedulden. Er war dankbar dafür, ein paar Minuten allein sein zu können und nichts anderes zu tun, als dem Summen der Maschine und dem steten Tropfen des Kaffees aus dem Filter in die Kanne zu lauschen. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, brachte er ihr den Kaffee, schwarz, wie sie ihn sich gewünscht hatte.
    Sgt. McCoy trank einen Schluck und seufzte zufrieden.
    Sie schlug die Beine übereinander und fing an, ihn über Kid auszufragen. Aufmerksam hörte sie sich an, was er ihr zu erzählen hatte – wie sie einander vor vielen Jahren kennengelernt hatten, wie Kid plötzlich wieder aufgetaucht und in sein Leben zurückgekehrt war, die Physiotherapie, der er sich unter Kids Anleitung unterzogen hatte, daß Kid als persönlicher Trainer gearbeitet hatte, daß er Beziehungen mit verschiedenen Frauen unterhalten hatte …
    »Haben Sie irgendwelche Anzeichen einer Depression bei ihm bemerkt? Hatte er irgendwelche Probleme? Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, daß er daran dachte, seinem Leben ein Ende zu setzen?«
    Jack erschauerte bei dieser Formulierung. »Nein. Ganz im Gegenteil.« Er zögerte – Kids Wutausbruch im Restaurant ging ihm plötzlich durch den Kopf, und dann sah er Kids Gesicht vor sich, als er von seiner neuen Erfüllung und seinen Geheimnissen erzählte. Aber er verdrängte diese Bilder. Sie waren ganz normale Störungen. Gehörten zu den üblichen Aufs und Abs des Alltagslebens. Er hatte keine Ahnung, ob Sgt. McCoy sein Zögern bemerkt hatte, aber um es zu kaschieren, redete er schnell weiter. »Er wollte in Kürze seinen Studienabschluß machen, in Betriebswirtschaft. Er hatte sich schon darauf gefreut, sein Diplom zu bekommen.«
    »Aha«, sagte sie.
    Ihr kurzer Kommentar beunruhigte ihn, als hätte sie plötzlich die Lösung für etwas erhalten, das er nicht verstand. »Was soll das heißen? ›Aha.‹«
    Sie spürte seine aufkeimende Feindseligkeit und meinte: »Tut mir leid. Wenn man Polizist ist, besteht das Problem darin, daß wir dazu neigen, Dinge unter einem rein statistischen Aspekt zu betrachten. Sie kannten die Person, daher sehen Sie etwas anderes, was Sie auch sollen. Ich meinte nur, daß das Ganze allmählich einen Sinn bekommt. Wir beobachten nämlich eine Zunahme der Selbstmordrate vor allem bei Studenten, die kurz vor ihren Abschlußprüfungen stehen. Es liegt an dem Druck, dem sie ausgesetzt sind. Sie stauen ihn in sich auf, bis sie es nicht mehr ertragen können.«
    »Ich glaube nicht, daß das hier der Fall ist. Ich habe nie irgendwelche …«
    Er wurde durch das schrille Piepen ihres Mobiltelefons unterbrochen. Sie sah ihn bedauernd an, holte das Handy aus der Halterung an ihrem Gürtel und hielt es ans Ohr. »McCoy, ich höre.« Am anderen Ende schien niemand zu sein, denn sie fragte: »Hallo?«, fragte noch einmal, schüttelte den Kopf und hob dann beide Hände, um ihm anzuzeigen, daß damit die Störung erledigt war. »Sorry. Haben Sie eine Ahnung, wie ich Georges nächste Angehörige erreichen kann?«
    Für einen Moment starrte Jack sie ratlos an, glaubte, es wäre alles ein Irrtum, daß sie von jemand ganz anderem redete, dann begriff er, daß sie Kids richtigen Vornamen benutzte. Er nickte. »Seine Mutter«, informierte er sie. »LuAnn Demeter. Sie wohnt auf Staten Island.«
    »Ich sollte sie wohl besser aufsuchen – nicht gerade der einfachste Teil dieses Jobs.«
    Während sie sich erhob, fragte Jack: »Ist das alles?«
    Sie blinzelte ihn an, da sie die Frage nicht verstand. »Was gibt es denn sonst noch?«
    »Sergeant… ich habe Kid sehr lange gekannt. Ich kenne … ich kannte ihn außerordentlich gut. Ich glaube nicht, daß … ich halte es nicht für möglich … ich meine …«
    »Sie meinen, er kann sich unmöglich selbst umgebracht haben?«
    »Genau«, sagte Jack. »Die Person, die ich kannte, kann unmöglich getan haben, was

Weitere Kostenlose Bücher