Icarus
umarmen und zu küssen. Gegen sechs Uhr bestiegen Jack und Caroline ein Taxi, fuhren raus zum Flughafen und trafen die Hale-Familie. Sie alle nahmen den Pendelflug nach Washington, D.C., und fuhren von dort zur Farm in Virginia bei Charlottesville. Der nächste Tag war eine einzige Party. Zelte waren auf dem Anwesen aufgestellt worden, ein Orchester spielte klangvolle Salonmusik, Hunderte von eleganten Freunden drückten Jack oder Caroline Schecks in die Hände und wünschten ihnen alles Gute. Jack blieb die meiste Zeit stumm und wollte nichts Falsches sagen oder offenbaren, wie unwohl er sich dabei fühlte, in eine höhere Klasse aufzusteigen. Es wurde von Ereignissen gesprochen, von denen er nie etwas gehört hatte, Leute lachten über Scherze, die er nicht verstand. Auf Caroline wurden Loblieder von Leuten gesungen, die Caroline ihm gegenüber niemals erwähnt hatte, darunter sicherlich auch einige ehemalige Verehrer. Carolines Vater hielt eine Rede und erzählte, was für ein feiner junger Mann Jack sei, wobei er seine Herkunft und Leistungen erheblich übertrieb. Ihre Mutter küßte Jack auf die Wange – es war eigentlich nur der Hauch des Hauchs eines Kußes – und meinte flüsternd zu ihm, er hätte eine schwere Aufgabe vor sich, wenn er für sie sorgen wollte.
Aber er wußte, daß das nicht stimmte. Caroline war nicht schwierig. Sie war umgänglich und unkompliziert. Und so unkompliziert würde es immer zwischen ihnen sein, denn sie liebten einander.
Am nächsten Morgen brachen sie zu ihrer Hochzeitsreise auf. Eine Woche in einem kleinen Hotel auf der Karibikinsel British Virgin Gorda. Sie hatten ihre eigene Ein-Raum-Hütte mit Strohdach und einer Außendusche, was alles war, was sie brauchten, denn die Temperatur sank nie unter 25° Grad.
Während des Fluges dorthin hielten sie Händchen und genossen schweigend die Nähe des anderen. Er dachte an die Party in Virginia und wußte, daß auch sie daran dachte. Er drückte ihre Hand und sagte zu ihr: »Warum hast du mich geheiratet?«
»Du meinst, wenn man sieht, woher ich komme, wenn man meine Freunde und das Luxusleben betrachtet, das ich zurücklasse, um in der bösen Stadt mit einem Niemand wie dir das Leben einer Bettlerin zu führen?«
Er zuckte die Achseln, dann nickte er. »So ungefähr, ja.«
Sie drehte leicht den Kopf, bis ihre Augen die seinen fanden. Nachdem sie ihn längere Zeit so angesehen hatte, lächelte sie und erwiderte dann den Druck seiner Hand und sagte: »Ich will nicht, daß du so wirst wie diese Leute, weißt du?«
»Das werde ich nicht«, versicherte er ihr. »Ich glaube, so kann ich auch gar nicht werden.«
»Das ist gut«, sagte sie. »Deshalb habe ich dich geheiratet.«
Ihre Woche auf Virgin Gorda war einfach himmlisch. Sie saßen am Strand und lasen, unternahmen lange Spaziergänge, verbrachten Stunden draußen auf dem Wasser und fuhren mit einem kleinen Motorboot herum, das zu ihrer Hütte gehörte. Sie schnorchelten und aßen gegrillten Hummer und tranken üppige, schaumgekrönte Pina Cola-das, die mit Muskat bestreut waren. Sie unterhielten sich bis tief in die Nacht, erzählten einander von ihren Ängsten und Hoffnungen für die Zukunft und enthüllten einander das wenige, was sie noch nicht über ihre Vergangenheit preisgegeben hatten.
Bei Tag und bei Nacht lagen sie in ihrem großen Doppelbett unter dem Deckenventilator, umfächelt von einer leichten Meeresbrise, die durch die Jalousienschlitze hereinwehte, und hielten einander im Arm. Sie streckte sich aus, nackt, und ließ sich von ihm liebkosen, während er immer wieder ihren Körper bewunderte und sie von seiner Berührung erregt wurde. Er küßte ihre Oberschenkel und ließ seinen Blick an ihren scheinbar endlos langen, auf magische Weise gebräunten Beinen bis zu ihren schlanken nackten Füßen hinabgleiten. Wild nahm sie ihn in sich auf und stöhnte vor Lust. Er war immer aufs neue überrascht, daß jemand, der so elegant und beherrscht wirkte, so sinnlich und sexuell ungehemmt sein konnte. Manchmal schrie sie so laut, daß sie beide in schallendes Gelächter ausbrachen. Sie meinte zu ihm, es wäre gut, daß ihr Häuschen so nahe am Wasser stünde, so daß die Brandung alles übertönte, sonst käme irgendwann der Sicherheitsdienst des Hotels angerannt, um ihn abzuholen.
Als sie nach New York zurückkehrten – es war nie eine Frage gewesen, daß sie dort leben würden –, nahmen sie die beängstigende Aufgabe in Angriff, nicht nur Lebens-, sondern auch
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