Icarus
Footballstadion geschickt. Der Wachmann am Eingang schaute auf seiner Liste nach, um sich zu vergewissem, daß Jacks Name darauf stand, und ließ ihn passieren. Er wanderte durch das Labyrinth von kahlen Tunneln der Arena, ehe er durch den Eingang hinter einer der Endzonen das Spielfeld betrat. Er blieb kurz stehen, beobachtete das Team, wie es in der sommerlichen Hitze und Luftfeuchtigkeit trainierte, ging dann ein Stück an der Seitenlinie entlang und wartete schließlich geduldig, bis einer der Trainer zur Pause pfiff. Derselbe Trainer, mit zerzaustem weißblondem Haar und einem jungenhaften Gesicht, das von der Sonne faltig und runzlig war, drehte sich jetzt um und entdeckte Jack. Er ging hinüber, streckte eine Hand aus und stellte sich vor: »Bobby Kampman.« Jack nannte ebenfalls seinen Namen und bedankte sich bei dem Coach, daß er sich sofort bereit erklärt hatte, mit ihm zu sprechen.
»Ich habe das Foto, das Sie gescannt haben, bekommen«, meinte er zu Jack. »Und ich habe es an all meine Jungs verteilt, ehe wir heute morgen mit dem Training begannen. Viele von ihnen gehörten vor zwei Jahren schon zum Team. Es dürften um die zwanzig gewesen sein. Viele kannten auch Haywood und Neufield – das waren die beiden, die sich im Restaurant gestritten haben. Und viele meiner Jungs waren mit ihnen befreundet. Aber keiner von ihnen kennt jemanden namens Kid Demeter.«
»Vielleicht unter einem anderen Namen … wäre das möglich?«
»Ich glaube nicht. Sie haben das Foto nicht erkannt. Er gehörte nicht dazu.« Als Jack nichts darauf erwiderte, fuhr der Trainer fort: »Wir können versuchen, uns mit den restlichen Jungen in Verbindung zu setzen, die zu dieser Zeit ebenfalls zum Team gehörten, aber ich glaube nicht, daß Ihnen das viel nutzen wird, Mr. Keller. Wenn diese Jungen ihn nicht wiedererkennen, dann werden die anderen es auch nicht.«
»Vielleicht hatten sie Hemmungen, sich zu melden, mit der Wahrheit herauszurücken. Vielleicht …«
»Nicht meine Jungs.« Kampman schüttelte heftig den Kopf. »Glauben Sie mir. Sie wissen, wie wichtig diese Angelegenheit ist, und ich garantiere Ihnen, daß keiner von ihnen irgend etwas verschwiegen hat.«
Jack war sprachlos. Er war sicher gewesen, eine Verbindung zwischen Kid und den beiden Footballspielern zu finden, die sich im Restaurant gestritten hatten und später erschossen worden waren. Es war ihm so einleuchtend erschienen. Jetzt fühlte er sich, als wäre er mit dem Kopf vor eine Mauer gelaufen. Er hatte keine Vorstellung, in welche Richtung er sich jetzt wenden sollte.
»Tut mir leid«, sagte der Trainer. »Wir alle haben großes Mitgefühl mit Ihnen. Und ich wünschte, wir hätten in irgendeiner Weise helfen können. Falls Ihnen noch etwas anderes einfallen sollte …«
Ihm fiel aber nichts ein. Jack bedankte sich beim Trainer, zuckte bedauernd die Achseln und verließ das Stadion. Noch immer ein wenig durcheinander von seinem Mißerfolg, blieb er auf dem Parkplatz stehen und benutzte sein Handy, um den nächsten Punkt auf seiner Tagesordnung zu vereinbaren. Er stieg in den Wagen und fuhr etwa eine halbe Stunde weit. Dann fand er sich auf einer vertrauten, kiesbestreuten Auffahrt wieder und sah vor sich Carolines Elternhaus.
»Ich arbeite nun schon seit achtunddreißig Jahren für die
Hales«, betonte Louise Trotty.
»Und ich dreiunddreißig Jahre«, fügte ihr Mann hinzu.
»Das weiß ich«, sagte Jack.
»Ich habe dieses Mädchen geliebt, seit es sieben war«, sagte Louise.
»Ich habe sie geliebt, seit sie zwanzig war. Nichts von dem, was Sie mir erzählen, wird etwas daran ändern, was wir für sie empfunden haben. Und noch immer empfinden .
Und ich verspreche Ihnen«, sagte Jack, »egal, was Sie über sie erzählen, nichts kann sie verletzen. Jetzt nicht mehr.«
Das schwarze Ehepaar schwieg, während Jack Kids Foto vor ihnen auf die hell geflieste Küchenanrichte legte.
»Haben Sie den jemals gesehen?« fragte Jack.
Keine Reaktion von den Trottys. Dann nickte John C. Trotty fast unmerklich seiner Frau zu.
»Ja«, sagte sie. »Er war hier im Haus.«
Jack hatte es gewußt, mit absoluter Sicherheit. Aber als diese Wissen bestätigt wurde, hatte er das Gefühl, als wiche jegliche Luft aus seinem Körper. Doch gleichzeitig mit diesem Tiefschlag stellte sich auch ein seltsames Gefühl der Erleichterung ein. So schmerzhaft es auch sein mochte, hier war endlich ein Durchbruch. Die Verbindung war hergestellt. Er hatte keine Vorstellung, wohin das
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