Icarus
fühlte sich schuldig, aber ich dachte, hey, Sie sind reich. Also meinte ich, er sollte sich das Geld von Ihnen holen.«
Sieh nicht zu ihr hin, dachte Jack. Verfolge nicht, wie sie auf die Kante kriecht, auf die Mauer. Zucke nicht mal mit der Wimper, denn wenn du das tust, sieht es auch Bryan, und dann ist alles vorbei. Denk nicht mal an Kid, als er draußen auf der Terrasse sagte: Hey, wußtest du, daß man von hier bis zum nächsten Gebäude gehen kann? Man müßte ziemlich verrückt sein, aber …
Grace war jetzt auf der Mauer. Die Novizin/Der Todesengel wagte den ersten zaghaften Schritt auf die Krone, die sie zum benachbarten Dach und in Sicherheit bringen würde.
»Aber Sie haben auch versucht, ihn mir wegzunehmen«, redete Bryan jetzt weiter. »Sie haben es schon Vorjahren versucht, und Sie würden es wieder versuchen …«
»Bryan, ich habe ihn dir nicht wegnehmen wollen. Ich …«
»Doch, das haben Sie! Und er war bereit wegzugehen! Das sagte er in jener Nacht oben in seinem Apartment. Er flehte mich an, es ihm zu erlauben, versprach, er würde für mich sorgen, wenn ich nur zuließe, daß er bei Ihnen arbeiten kann. Und wissen Sie, was ich nicht glauben konnte? Er hatte Angst vor mir, Mr. Keller. Ich tat nichts anderes, als ihn zu retten und zu beschützen, und er fürchtete sich vor mir! Als wollte ich ihm je etwas Böses antun.«
»Du hast ihn umgebracht, du dämlicher Hurensohn! Begreifst du nicht, daß du ihn getötet hast?«
»Aber ich habe ihm nicht weh getan! Ich hätte ihm niemals weh getan!« Jetzt wurde Bryan wütend. Seine Stimme erhob sich, während er auf Jack zutrat. »Und nennen Sie mich nicht dämlich. Ich bin nicht dämlich. Ich bin schlauer als Sie oder irgendein anderer von euch.«
Schau nicht zu Grace. Denk nicht an Grace. Sie war auf allen vieren unterwegs, achtzehn Stockwerke hoch, und hatte fast ein Viertel des Weges geschafft. Denk nicht an sie, und hah keine Angst vor Bryan. Biete ihm die Stirn, und verschaff ihr die Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.
»Es tut mir leid«, sagte Jack. »Es tut mir wirklich leid. Ich war nur wütend. Ich weiß, daß du nicht dumm bist. Ich kann kaum fassen, wie du das alles zustande gebracht hast.« Das schien Bryan zu besänftigen, daher machte Jack weiter. »Was geschah in jener Nacht? Bei Kid?«
»Ich konnte nicht glauben, daß er Angst vor mir hatte. Das machte mich so traurig. Und dann wütend. Also sagte ich zu ihm, gut. Ich sagte, okay, ich würde ihn mit Ihnen gehen lassen. Nur müßte er vorher noch mit mir reden. Gehen wir ein Bier trinken und unterhalten wir uns, sagte ich. Ich meinte, ich wollte immer mal sehen, wie er ein Bier trinkt. Also zogen wir los …«
»Nur hast du ihm etwas hineingetan«, sagte Jack und erinnerte sich, wie Bryan, als er ihn bei Hanson’s aufgesucht hatte, einem Kunden irgend etwas zusteckte und dafür Geld bekam. »Der Typ im Fitnessclub, der Typ, von dem du meintest, er würde wetten. Das war keine Wette, das war ein Drogendeal.«
»Ich deale manchmal ein bißchen, um über die Runden zu kommen. Kid erzählte mir von diesem verrückten russischen Girl, der Kartengeberin. Ich lernte sie kennen und redete mit ihr, und manchmal besorgte sie mir Stoff.«
Ich weiß, was ich sagen soll, hatte Samsonite erklärt. Ich habe es auch rausgekriegt. Aber als er herkam, um das verdammte Acid zu kaufen, wußte ich nicht, für wen es war. Ich hatte keine Ahnung, was er damit vorhatte.
Jack hatte geglaubt, sie hätte Kid gemeint. Das hatte auch McCoy angenommen. Aber es war nicht Kid, es war Bryan gewesen.
»Samsonite hat dir das Acid gegeben. Du hattest es von ihr und hast es ihm ins Bier getan.«
»Ich sagte Ihnen doch, ich würde ihm niemals weh tun. Ich wußte, wenn er es nahm, dann wäre er okay, wenn er abstürzte. Ich wußte, wenn ich ihn aus dem Fenster werfen würde, dann wäre er glücklich, bis er starb.«
Grace hatte fast den halben Weg zurückgelegt. Mach schneller, dachte er. Mach, verdammt noch mal, schneller!
»Was ist mit den Frauen?« fragte Jack. »Was ist mit dem Team?«
»Das war alles Ihre Schuld. Niemand wollte mir Kid wegnehmen, alles war bestens. Aber dann mußten Sie anfangen herumzuschnüffeln. Sie hätten mich in Schwierigkeiten bringen können.«
»Warum hast du sie getötet, Bryan?«
»Aus verschiedenen Gründen. Die Tänzerin, wissen Sie, die Stripperin …«
»Die Entertainerin.«
»Ja. Sie. Ich hatte sie gesehen. Ich kannte sie. Ich ging zu ihr, wissen Sie, nun, da Kid
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