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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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glaube, ich werde gleich ohnmächtig.«
    »Ich will dir eine Geschichte erzählen«, sagte Kid, während Jack locker dahintrabte. Kids Stimme war jetzt ruhig und leise. Jack wußte, daß dieser Tonfall das äußerste an Entschuldigung für Kids Weigerung war, ihn an seinem Privatleben teilhaben zu lassen. »Als ich noch Football spielte, an der High-School, traten wir einmal gegen eine besonders mächtige Mannschaft an. Und wenn ich mächtig sage, dann meine ich auch mächtig. Ihre Angriffslinie brachte im Durchschnitt zweihundertachtzig Pfund auf die Waage und unsere vielleicht zweihundertfünfundzwanzig, zweihundertdreißig. Wir dachten, wir würden geschlachtet. Aber unser Coach meinte, wir könnten gewinnen. Er sagte, wenn wir bis zum vierten Viertel an ihnen dranbleiben könnten, würde unser Konditionstraining sich auszahlen. Wir wären in viel besserer Form, sagte er, und sie würden müde werden. Und so riesig sie auch waren, sobald sie müde würden, könnten wir sie leicht überrollen. Und weißt du was? Er hatte recht. Wir haben sie geschlagen. Und im vierten Viertel stampften wir diese Riesenbabys regelrecht in den Boden.«
    »Das ist gut zu wissen. Vielleicht melde ich mich wieder auf der High-School an und bewerbe mich für das FootballTeam.«
    »Ich sage nur, daß Laufen wichtig ist. Man weiß nie, mit wem man es da draußen zu tun bekommt, Jack.« Kids Stimme wurde noch leiser. Und irgendwie schien sie plötzlich von weither zu kommen. »Man weiß nie«, sagte er, »gegen was für Riesenkerle man antreten muß.«

Einundzwanzig
    Sie ahnte absolut nichts.
    Man brauchte sie nicht zu kennen. Man brauchte sie nur zu sehen, und schon wußte man, daß sie eine nette Frau war. Sie hatte etwas Warmes und Freundliches an sich. Etwas Liebenswertes. Sie war ein liebevoller und mitfühlender Mensch. Es war in ihrem Gesicht zu lesen, an der Art, wie sie ging, als wollte sie die ganze Welt in ihre dürren Arme schließen. Es war ein hübscher Anblick. Auf gewisse Art und Weise tröstlich und beruhigend.
    Und das mußte ihr Ehemann sein. Er schien ebenfalls sehr nett zu sein. Er war auf einen Spazierstock angewiesen. Was mochte ihm zugestoßen sein? Ein Unfall, vielleicht. Vielleicht war er sogar in Vietnam gewesen. Er humpelte ziemlich stark. Er war ziemlich stämmig. Das war gar nicht gut für sein Bein. Er wog sicherlich zweihundertzehn, zweihundertzwanzig Pfund bei knapp eins achtzig Körpergröße. Er könnte ruhig ein paar Pfund abnehmen, aber er wirkte ziemlich zufrieden, also gehörte er wahrscheinlich zu den Typen, denen es nichts ausmachte, wie sie aussahen oder daß er sich nur humpelnd fortbewegen konnte.
    Sie sah ebenfalls glücklich und zufrieden aus. Warum auch nicht? Es war ein schöner Tag, kalt und frisch und klar, und sie hatte einen netten Ehemann, der sie nach Feierabend an der Bushaltestelle abholte und nach Hause begleitete, und das trotz seines lädierten Beins. Solche Paare sah man nicht mehr allzuoft, oder? Nein, ganz sicher nicht. Die Menschen waren nicht mehr so aufmerksam. Niemand verhielt sich mehr wie früher oder so, wie er sich eigentlich verhalten sollte .
    Was getan werden mußte, erschien irgendwie nicht richtig. Aber es war notwendig. Warum sollte dieses nette Ehepaar als einziges glücklich sein? Verdienten nicht auch sie ihr ganz eigenes Glück? Auf jeden Fall. Und versuchte nicht jeder, ihnen dieses Glück streitig zu machen? Und wie sie das taten. Nun ja, vielleicht nicht jeder. Vielleicht war das eine Übertreibung. Mit letzter Sicherheit konnte man das nicht für jeden behaupten. Aber Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.
    Das war ein guter Slogan, nicht wahr? Nein, kein Slogan. Wie nannte man das? Ein Sprichwort? Vielleicht. Ein Motto? Genau das war es. Ein richtig gutes Motto: Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.
    Dem schwarzen Ehepaar kam eine ältere schwarze Frau entgegen, die aus einem Apartmenthaus auf die Straße getreten war. Die ältere Frau sagte: »Ich habe gerade bei dir geklopft, Mathilda.« Mathilda war so nett, daß es ihr offensichtlich aufrichtig leid tat, nicht zu Hause gewesen zu sein, als die Frau geklopft hatte. Und sie erwiderte: »Nun, wir bleiben heute abend zu Hause. Du kannst jederzeit vorbeikommen.« Die ältere Frau meinte, das würde sie ganz bestimmt tun, und dann stieg das schwarze Ehepaar die drei hohen Betonstufen hinauf, die zu einem recht hübschen Gebäude führten, roter Klinker, zwölf Stockwerke hoch, ein Stück von der Lenox Avenue

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