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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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wenigstens den Versuch machte, zu verstehen. »Ich kann nicht.«
    Er sagte noch immer kein Wort, und in der Stille dachte sie: Er weiß so viel von mir. Mehr als fast jeder andere. Dann dachte sie: Was könnte er mit dem, was er weiß, nicht alles tun. Was könnte er …
    »Bitte«, sagte er. Das Wort war so leise, daß sie nicht sicher war, ob sie es überhaupt gehört hatte. Dann wiederholte er es, ein wenig lauter diesmal. »Bitte.«
    »Ich versuche es«, versprach sie ihm, und sie konnte nicht glauben, daß die Worte aus ihrem Mund gekommen waren. Und dann wurde ihr bewußt, daß sie es ernst meinte. Sie würde sich wirklich mit ihm treffen. Sie begriff, daß sie sich mit ihm treffen mußte . »Ja, natürlich«, sagte sie.
    Sie beugte sich vor und küßte ihn züchtig auf die Wange und sah, daß er zufrieden nickte, dann kehrtmachte, durch die Tür hinausging und über das Kopfsteinpflaster der Straße davonschlenderte. Es war die für ihn typische Gangart.
    Das Telefon klingelte erneut. Es war wieder der Künstler mit weiteren Fragen. Sie antwortete ihm, achtete aber nicht allzu aufmerksam auf die Fragen. Sie dachte viel zu intensiv über das Ende dieses perfekten Tages nach. Darüber, was sie tun mußte.
    Und warum.

Zwanzig
    Mitte März verkündete Kid, daß es nun an der Zeit sei, den letzten Schritt in Angriff zu nehmen.
    »Du bist jetzt stark genug, um mit Phase vier zu beginnen«, erklärte Kid. »Die Situation ist die … Wenn du jetzt aufhören würdest – ich meine, aufhören, Fortschritte zu machen –, könntest du so weiterleben. Dein Körper hat im großen und ganzen seinen Normalzustand wiedererlangt, deine Verletzungen sind weitgehend verheilt. Ich weiß, du hast noch Schmerzen, aber die sind einigermaßen erträglich.«
    Jack überlegte und nickte dann. »Für die meiste Zeit trifft das zu.«
    »Du kannst so leben, aber das will ich nicht. Das mußt du nicht«, fuhr Kid fort. »Das Problem ist in diesem Stadium nicht so sehr der Schmerz an sich, sondern die Angst, die damit einhergeht. Es ist keine Frage der Heilung mehr, sondern eine Frage der Kräftigung. Es geht darum, wie stark wir dich machen können, und die Antwort ist, wir müssen dich so stark machen, daß die Angst ausgeschaltet wird.«
    »Was hast du da am Arm?«
    Kid blickte nach unten. Unter dem Ärmel seines TShirts war der Rand eines weißen Verbandes zu sehen. »Das ist nichts«, sagte er.
    »Was ist passiert?«
    Kid zögerte. »Ein kleiner Schnitt.«
    »Wie?«
    Jetzt wurde Kid sichtlich nervös. Er biß sich auf die Unterlippe, bis sie sich weiß färbte, drehte unbehaglich den Kopf hin und her und meinte schließlich: »Die Totengräberin.«
    »Sie hat dich geschnitten ?«
    »Ich … ich wollte mit ihr über eine mögliche Trennung sprechen. Sie hat sich aufgeregt und …«
    »Kid, hat sie das mit einem Messer getan?«
    Kid nickte. »Es war im Grunde ein Unfall.«
    »Ich habe eher den Eindruck, da gerät irgend etwas außer Kontrolle …«
    »Hör mal, laß uns nicht darüber diskutieren. Ich möchte einfach nicht mehr über das Team reden.«
    »Warum nicht?«
    Kid holte jetzt eine kleine Tabelle hervor. »Der Körper hat sechshundert Muskelgruppen, die vierzig Prozent des Körpergewichts ausmachen …«
    »Was ist passiert, worüber du nicht reden willst?«
    Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr Kid fort und konzentrierte sich ausschließlich auf seine Tabelle. »Wir werden uns jetzt mit diesen Muskeln befassen.«
    »Kid …«
    »Nein!«
    Jack erschrak über die Heftigkeit von Kids Reaktion. Er sagte nichts, bis Kid aufschaute und ihre Blicke sich trafen. Dann nickte Jack. Während er nickte, dachte er: Er ist schon mal weggelaufen. Ich will nicht, daß er abermals wegläuft. Irgend etwas ist im Gange, und ich verstehe es nicht – aber ich möchte ihn nicht vertreiben. Ich will nicht, daß er verschwindet. Daher gab er sich mit dem Nicken zufrieden und teilte Kid auf diese Art und Weise mit, daß er bereit war, das Thema fallenzulassen.
    »Dies ist ein Plan.« Kid tippte wieder auf die Tabelle. Aber ehe er zu weiteren Erklärungen ansetzen konnte, stürzte Mattie ins Zimmer.
    Sie schaute sich aufgeregt um, erwartete wohl, irgend etwas Schlimmes zu sehen, und war überrascht, daß nichts Ungewöhnliches geschehen war. »Was war das für ein Geschrei?« fragte sie, und obgleich ihre Stimme ganz ruhig klang, lag ein drohendes Funkeln in ihren Augen. Ihr Zorn war gegen Kid gerichtet, und als er keine Antwort gab, sagte sie:

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