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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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erlebte, aber sie meinte nur, es täte ihr leid. Sagte, sie hätte die Kontrolle verloren. Sie sagte ihm jedoch nicht, daß sie nicht noch einmal die Kontrolle verlieren würde, sie wollte nicht, daß er sich zu wohl fühlte, aber er nahm ihre Entschuldigung an. Er streckte die Arme aus und packte sie, und jetzt stellte sie sich vor, wie sie auf ihm saß, sich bückte, seine Brust küßte, mit den Lippen über seinen harten Bauch abwärts wanderte …
    Sie versuchte sich zu zwingen, an etwas anderes zu denken, aber es nutzte nichts. Sie wollte ihn schon wieder. Jetzt. Aber sie konnte ihn nicht haben, und für einen winzigen Augenblick war sie wütend, rasend, und sie haßte ihn, weil er sie verlassen hatte. Dann atmete sie wieder ein, das Gesicht wieder im Kissen vergraben, und lachte, leicht benommen, auf. Sie lachte sowohl über ihre Ausgelassenheit wie auch ihre Torheit.
    Sie hatte versucht, ihn zu überreden, zum Abendessen zu bleiben. Er hätte zu arbeiten, hatte er erklärt. Andere Kunden. Echte Kunden.
    Sie war ebenfalls eine echte Kundin, erinnerte sie ihn.Und bot ihm sogar an, ihm Überstunden zu bezahlen, wenn er bei ihr bliebe. Sie war über ihr Angebot schokkiert, aber es war ihr egal. Sie wollte ihn so sehr, und sie wußte, daß ihm Geld wichtig war. Ihr war es nicht wichtig, und sie erkannte, daß es sie glücklich machte, ihn damit zu überschütten, glücklich, ihm zu geben, was er sich wünschte, aber er erwiderte, daß er gehen müßte, es wäre verlockend, wie hätte es auch nicht verlockend sein können, aber er müsse stark sein. Er hätte einen anderen Kunden, der ihn brauchte, und als sie schmollte und fragte, wer es wäre, sagte er, er dürfte nicht über seine anderen Kunden sprechen, nicht einmal mit ihr. Ja, es wäre eine Frau, erzählte er ihr. Und ja, sie wäre jung. Aber nein, diese Frau wäre auch nicht halb so attraktiv wie sie. Und nein, zwischen ihnen wäre nichts, sie wäre lediglich eine Kundin. Wenn sie unbedingt einen Namen wollte, sollte sie sie Die Entertainerin nennen. So würde er sie auch nennen, wenn er mit Kunden über sie redete. Die Entertainerin, denn sie wäre eine Tänzerin-alias-Schauspielerin.
    Wie nennst du mich denn, fragte sie geziert, wenn du mit deinen anderen Kunden sprichst?
    Das tue ich nicht, sagte er. Dann lächelte er, zog sie an sich und küßte sie.
    Und dann war er auch schon gegangen, hinaus in den Garten und die Auffahrt hinunter, und in die Limousine eingestiegen, die darauf wartete, ihn in das Leben zurückzubringen, das er ohne sie führte. Das Leben, von dem sie so wenig wußte.
    Sie entschied, ein wenig mehr über sein anderes Leben in Erfahrung zu bringen. Sie entschied, daß sie mehr darüber wissen mußte.
    Jetzt dachte sie an den letzten Kuß, und ihr Schwindelgefühl verflog. Je mehr sie darüber nachdachte, desto leidenschaftsloser kam er ihr vor. Wie ein Versuch, sie friedlich zu stimmen. Wie ein Mittel zur Flucht.
    Sie drückte den Kopf wieder ins Kissen und hoffte, ihn abermals einatmen zu können, aber sein Geruch war jetzt verflogen. Nichts war mehr von ihm wahrzunehmen.
    Sie war ganz allein in ihrem Zimmer.
    D IE E NTERTAINERIN
    An diesem Vormittag war sie von neun bis zehn auf dem StairMaster.
    Von 10:03 Uhr bis 10:23 Uhr war sie auf dem Laufband. Genau zweieinhalb Meilen.
    Danach folgten 15 Minuten Klappmesser, 15 Minuten Stretching und schließlich schnelle 1000 Meter auf der Rudermaschine. Sie brauchte dafür drei Minuten und 52 Sekunden, nur sieben Sekunden weniger als ihre Bestzeit.
    Im Damenumkleideraum des eleganten Chelsea Piers Fitnessclubs zog sie Laufschuhe und Socken aus, streifte das Trikot und das Tank-Top ab, das sie darüber trug, und stellte sich vor den großen Wandspiegel. Sie betrachtete sich, sah den Schweiß, der von ihren Schultern rann, spannte den Trizeps an und sah den Muskel im Licht der Leuchtstoffröhren glänzen. Sie fuhr mit dem Finger von ihrem Kinn über den Hals hinunter bis zwischen ihre Brüste. Dann steckte sie den Finger in den Mund und schmeckte ihren eigenen Schweiß. Sie drehte sich langsam, stellte sich auf die Zehenspitzen und betrachtete sich im Spiegel, während sie auf den nackten Füßen die Drehung vollendete. Im Duschraum hielten sich mittlerweile mehrere Frauen auf, duschten, zogen sich an und machten sich fertig, um zu ihren Bürojobs oder ihren Fototerminen zurückzukehren. Sie wußte, daß man sie beobachtete, und das erregte sie. Sie mochte es, wenn all die weißen Frauen ihren

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