Icarus
Körper angafften, daher drehte sie sich weiter, nachdem sie im Spiegel längst gesehen hatte, was sie hatte sehen wollen. Erfüllte sie das, was sie erblickten, mit Neid? Machte es sie scharf? Amüsierte sie die Frauen, oder stieß sie sie ab? Es war ihr weitgehend egal, wirklich und wahrhaftig. Solange sie überhaupt bei ihnen eine Reaktion auslöste.
Am Nachmittag unternahm sie einen Einkaufsbummel.
Sie brauchte nichts, und das war der springende Punkt. Sie kaufte unsinnige Dinge. Aber elegante. Sie hatte es gelernt, auf Eleganz zu achten, kannte den Geschmack der reichen Weißen. Sie liebte es, sich im Fitnessclub zu produzieren und ihre Reize herauszustellen, all die Typen – die ihre Abende damit verbrachten, von Mariah Carey zu träumen und sich einen runterzuholen – nervös zu machen und anzuheizen. Und im Club, natürlich. Dort entblößte sie besonders gern ihre knallharten Oberschenkel und trug dazu ihre aufreizenden Highheels. Aber im wahren Leben bevorzugte sie Klasse. Und sie wußte, was Klasse war. Echte Klasse. Während andere Frauen in ihrem Alter über die 8^ Street flanierten und versilberte Ohrringe kauften, spazierte sie selbstbewußt über die Madison Avenue, erstand bei Fratelli Rosetti ein Paar hellroter Seidensandaletten mit flachen Absätzen und bei Prada eine schwarze Handtasche mit rotem Verschluß, die genau zu ihren Schuhen paßte. Zwei schwarze Handtaschen, weil … nun ja … weil man nie wußte, wann man eine zweite brauchte.
Sie hatte um halb vier ein Casting für eine Soap, aber es war keine besonders große Rolle, und außerdem war sie wirklich groggy, daher ließ sie den Termin sausen, fuhr nach Hause und machte gegen vier ein kleines Nickerchen. Um sechs rief sie dann ein Taxi und fuhr zur Arbeit.
Es war ein guter Abend. Sie wand sich und streckte sich und warf die Beine hoch und war verdammt sexy. Sie verdiente 1800 Dollar an Trinkgeldern, und nicht einer von denen, an die sie sich heranschlängelte und an denen sie sich rieb, wußte, daß sie über den neuen Stoff nachdachte, mit dem sie ihre Wohnzimmercouch beziehen lassen wollte, oder wo sie die Quittung der chemischen Reinigung bereitgelegt hatte, weil sie morgen alle Sachen dort abholen wollte, oder welche Bücher sie am Strand lesen würde, wenn sie in einem Monat Urlaub in Florida machte. Ein Kerl erkundigte sich nach ihrem Namen und zuckte mit keiner Wimper, als sie sich entschied, ihn zum Narren zu halten, und antwortete: »Madre. Madre Teresa.« Er sagte nur: »Ein hübscher Name. Ist er spanisch?« Sie wußte sofort, daß er glaubte, sie möge ihn, daß eine Chance bestünde, daß sie ihm ihre Telefonnummer gäbe und vielleicht sogar mit ihm essen ginge. Er war ein magerer kleiner Typ mit schlechtem Haarschnitt und unreiner Haut, und sie wußte, daß sie ihren Job so gut machte, wie er besser nicht gemacht werden konnte, denn als sie aufhörte, für ihn zu tanzen, hatte er ihr 140 Dollar zugesteckt, und sie hätte alles darauf verwettet, daß er nicht mehr als 500 die Woche verdiente.
Um vier Uhr morgens schloß der Club. Ein Taxi wartete auf sie, als sie auf die Straße trat. Um diese Uhrzeit warteten immer Taxis auf die Mädchen. Die Taxifahrer brachten sie gern nach Hause. Ein Chauffeur erzählte ihr, daß sie alle annahmen, eines der Girls würde über kurz oder lang mal sein Portemonnaie vergessen oder einer von ihnen bekäme als Gegenleistung für die Fahrt einen geblasen. Soweit sie wußte, war das seit Entstehung der Erde noch nie passiert, aber sie fand, daß es doch nett war, daß Menschen sich derart an ihre Hoffnungen klammern konnten.
Um 20 nach vier saß sie im Salon bei Sax, dem zur Zeit angesagten Feierabendclub, wo die meisten Girls herumhingen. Sie dachte, daß Kid sicherlich dort wäre. Aber er war es nicht. Allerdings einer seiner Freunde. Der nette. Sie vergaß immer wieder seinen Namen, sie wußte nur, daß er ganz wild auf einen Job im Club war. Er wollte dort als Rausschmeißer anfangen. Es schien ihn nicht im mindesten zu stören, daß sie sich auch nicht die kleinste Kleinigkeit über ihn merken konnte. Er hing ständig in diesem oder in anderen Clubs herum. Er schien immer auf Kid zu warten. Als wäre er sein Leibwächter oder so etwas. Oder sein Schatten. Sie fragte sich, ob er wohl so nett wäre, wie er erschien. Oder ob er nur so dämlich war wie ein Stück Scheiße.
Sie überlegte, ob sie mit ihm schlafen würde. Würde Kid das weh tun? Wenn ja, dann würde sie es tun. Aber sie
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