Ice Ship - Tödliche Fracht
schaltete es ein. »Hier ist Garza«, meldete sich eine schwache, vom gewohnten Rauschen überlagerte Stimme. »Im Tankraum.
Hier unten brechen bei jeder Schlingerbewegung ein paar Schweißstellen.« »Ursache?« »Die letzte Entladung des Meteoriten hat einige entscheidende Verknüpfungen im Sicherungsnetz beschädigt und andere zumindest geschwächt. Rochefort hat die Belastbarkeit der Halterung für eine Krängung von maximal fünfunddreißig Grad ausgelegt, wir sind also noch zehn Grad unter dem Limit...« Einige Sekunden lang nur lautes Rauschen. »... Berechnungen ist der Meteorit allerdings um hundertfünfzig Prozent schwerer, als Rochefort angenommen hatte. Möglicherweise ist die Konstruktion zu schwach ausgelegt.« »Um wie viel zu schwach?« »Schwer zu sagen, ohne ...« Wieder brach die Verbindung für kurze Zeit ab. »... ist Stonecipher der Meinung, sie könnten vielleicht noch eine Zeit lang halten. Andererseits, wenn es Defekte an den Knotenpunkten gibt, gibt der Rest vielleicht sehr schnell nach.« »Mir gefallen die schwammigen Formulierungen ›könnten‹ und ›möglicherweise‹ nicht.« »Präziser kann ich’s aber nicht sagen.« »Wie schnell ist ›sehr schnell‹?« »Uns bleiben fünf, vielleicht auch zehn Minuten. Möglicherweise etwas mehr.« »Und dann?« »Dann rutscht der Meteorit seitlich weg. Und wenn die Neigung zu stark wird, zerschlägt er womöglich die Außenhülle des Tankers.« »Lassen Sie die entscheidenden Stellen im Sicherungsnetz verstärken.« In Garzas Schweigen mischte sich statisches Knacken und Rauschen. Glinn ahnte, woran Garza dachte und was er von seiner Anweisung hielt. »Ja, Sir«, sagte der Chefingenieur schließlich. »Und lassen Sie ja kein Salzwasser an ihn ran.« Keine Antwort, das Rauschen wurde stärker. Und die Rolvaag stampfte weiter nach Süden, auf die Eisgrenze zu.
Rolvaag
17.00 Uhr
An der Rückseite der Brücke, zwischen Funk- und Kartenraum, gab es eine kleine Nische, die sich wegen des hohen Fensters als Ausguck anbot. Dort hatte Glinn Posten bezogen, mit dem Fernglas vor den Augen. Der Schneesturm, eine wabernde graue Wolke, zog nach Norden ab. Sechzig Minuten lang hatte er ihnen Sichtschutz geboten, zwanzig weniger, als sie gebraucht hätten. Nun leuchtete der Mond die raue See wieder taghell aus. Ihr Plan war nicht aufgegangen. Und tatsächlich tauchte die Ramirez wie auf ein Stichwort hin aus dem Schneegestöber auf. Sie hatte alle Lichter gesetzt und war gefährlich nahe herangekommen, höchstens vier Seemeilen trennten sie noch von dem Tanker. Ihr Bug, zum Spielball der tobenden See geworden, stieg steil hoch, um im nächsten Moment jäh abzufallen. Keine Frage, dass Vallenar sie genauso klar ausmachte wie sie den Zerstörer. Und er verlor keine Zeit: die beiden vorderen Geschütze wurden auf die Rolvaag ausgerichtet. Sekunden später feuerte die Ramirez Phosphorgranaten ab, die in der Luft detonierten und das Meer rings um den Tanker in grellweißes Licht tauchten. Der Comandante ging methodisch vor, ohne Hast, er wusste, dass sie in der Falle saßen. Glinn warf rasch einen Blick auf seine goldene Taschenuhr. Bei einer Distanz von vier Meilen mussten sie sich nicht erst an das Ziel herantasten, sie konnten drauflosfeuern. Und die Rolvaag brauchte noch zwanzig Minuten bis zu den Eisinseln – und viel Glück. »Wir überfahren die Eisgrenze, Ma’am«, meldete Howell. Glinn setzte das Glas ab und richtete den Blick aufs Meer. Selbst im Mondschein konnte er sehen, dass sich die Farbe des Wassers verändert hatte: Aus dem tiefen Grün war klares, bläulich schimmerndes Schwarz geworden. Er ging nach vorn, zum Kommandostand, und suchte den südlichen Horizont mit dem Fernglas ab. Die ersten Eisschollen trieben auf sie zu. Und als die Rolvaag auf einen Wellenberg gehoben wurde, konnte er einen erregenden Augenblick lang einen Blick auf die beiden Eisinseln werfen: zwei flache, türkisfarbene Platten, die östliche an die dreißig Kilometer lang, die westliche acht. Sie lagen ruhig im Wasser, Inseln der Stille in der trügerischen See, zu groß, als dass das Meer ihnen seinen wilden Tanz hätte aufzwingen können. Zwischen ihnen befand sich eine schmale, schätzungsweise dreihundert Meter breite Fahrrinne. »Weit und breit kein Nebel«, stellte Britton fest, als sie, den Feldstecher in der Hand, neben ihn trat. Glinn sah sie nicht an, er starrte unverwandt nach Süden. Nie zuvor hatte er sich so hundeelend, so hilflos und ohnmächtig
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