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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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die obersten Bosse der Hamburg-Mannheimer und der Wüstenrot die Unschuldsengel gaben.
    Die Rollen zwischen dem Mitarbeiter und der Irrenhaus-Direktion sind verteilt wie zwischen Straßengangster und Mafiaboss: Der Kleine macht sich die Finger schmutzig und liegt schnell in Handschellen. Der Große dagegen, der den wahren Profit einfährt, agiert mit weißer Weste aus dem Hintergrund. Das ist der Grund, warum solche schmutzigen Geschäfte nach Auskunft von Paulsen meist verklausuliert in Auftrag gegeben werden: »Bereiten Sie Herrn Sternberg einfach mal einen wunderschönen Abend, mit allem, was er sich so vorstellt – Sie verstehen schon!«
    Und so läuft er los, bestellt die Callgirls und organisiert eine vorzeigbare Quittung – man will den Finanzbeamten ja schließlich nicht auch noch ins Bordell einladen müssen. Auf der Rechnung steht zum Beispiel: »Bewirtung von Geschäftspartnern – acht Flaschen Champagner und Kaviar.« Und natürlich heißen Event-Agenturen und Escort-Services nicht »Sex-for-two«, sondern »Gästebetreuungsagentur« oder »Fremdsprachen-Service«. Auf der Rechnung stehen nicht »Julia und Pia für eine Nacht inklusive Französisch«, sondern »zwei Dolmetscherinnen, viersprachig«.
    Als Spiegel-Online sich unter Prostituierten umhörte, ob Firmensausen wie die der Ergo üblich sind, stieß man überall auf Kopfnicken. 22 Zwei Berliner Callgirls berichteten von Firmen-Sex. Die Prostituierte Monique wurde im Auftrag von Unternehmen »nach Potsdam, in die Mecklenburgische Einöde und an die Ostsee chauffiert. In Hotels oder Ferienhäuser.« Und sie erzählte: »Diese Jobs sind lukrativ, weil sie für die Organisatoren aufwendig sind, für uns Frauen aber eine Abwechslung mit wenig körperlichem Einsatz – also auf die Zeit gerechnet.«
    Und Felicitas Schirow, die seit 1997 das »Café Pssst« in Berlin betreibt, das erste Bordell mit Konzession in Deutschland, sagt über die Abrechnungspraktiken: »Viele größere Firmen haben eine Extra-Kasse, aus der solche Feiern bezahlt werden und die nicht über die offiziellen Bücher gehen.« Die Orgie der Hamburg-Mannheimer findet sie »völlig normal« und meint: »Gerade im Versicherungsgewerbe wird gern mit weiblicher Begleitung gefeiert und belohnt. Ich staune höchstens über den Umfang.«
    Â§ 11 Irrenhaus-Ordnung: Zumindest einen Ort gibt es, wo niemals Sex im Auftrag der Firma stattfindet: auf der Spesen-Quittung.
    Die bittere Anti-Baby-Pille
    Die Mitteilung erwischte die Unternehmensberaterin Bettina Niebel (27) auf dem falschen Fuß. »Wir ziehen Sie aus dem Projekt ab«, sagte ihr Vorgesetzter am Telefon. »Ab nächsten Montag werden Sie in der Zentrale sein.«
    Â»Aber warum denn?«, protestierte sie. »Das Projekt beim Kunden läuft doch noch ein knappes Jahr. Bislang hatte ich hier alles gut im Griff.«
    Ihr Vorgesetzter schwieg einen Augenblick, als müsste er sich erst noch eine Begründung einfallen lassen. Dann erklärte er: »Wir wollen stärker rotieren. Ihr Kollege Christian soll beim Kunden Erfahrung sammeln. Sie werden seinen Back-up-Job in der Zentrale übernehmen.«
    Bettina Niebel konnte es nicht fassen. Die Firma riss sie aus einem laufenden Projekt, obwohl sie die treibende Kraft gewesen war und erstklassige Rückmeldungen vom Kunden bekommen hatte. Solche Rochaden hatte sie bislang nur erlebt, wenn bei anderen Projekten Not am Mann war. Aber für eine Back-up-Aufgabe hätte man sie weiß Gott nicht abziehen müssen.
    Eine solche Entscheidung passte nicht zu ihrem Beratungsunternehmen. Eigentlich war es eine Hochburg des Sozialdarwinismus: Wer viel leistete, wurde gehegt. Wer wenig leistete, wurde abgesägt. Diesmal schien es ihr umgekehrt zu laufen.
    Ein paar Tage später stand sie in einer Apotheke und schob das Rezept für ihre Anti-Baby-Pille über den Tresen. In diesem Moment fiel ihr ein: Sie hatte ihre Quittungen schon ein paar Monate nicht mehr eingereicht. Anfangs hatte sie sich über das Angebot ihrer Firma gewundert, die Kosten für die Pille zu übernehmen. Aber die Offerte galt für alle Mitarbeiterinnen. Warum hätte sie nicht darauf eingehen sollen?
    Nun kamen ihr Zweifel: Was, wenn die Tatsache, dass sie zuletzt keine Quittungen mehr eingereicht hatte, falsch interpretiert worden war? Wenn die

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