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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Direktoren ihres Beratungs-Irrenhauses dachten: »Bald wird sie schwanger und bricht uns weg – da ziehen wir sie lieber rechtzeitig ab!«
    Beweise hatte sie keine, aber ein verdammt ungutes Gefühl. Deshalb telefonierte sie mit Ex-Kolleginnen. Staunend hörte sie: »Bei Laura war das genau dieselbe Geschichte wie bei dir! Einer der Partner hat vor Jahren mal erlebt, wie ein Projekt floppte, nach­ dem eine Kollegin in Schwangerschaftsurlaub gegangen war. Seither probieren sie sich in Schwangerschafts-Wahrsagerei …«
    Dafür, dass sie sich ihre Pille hatte bezahlen lassen, musste Bettina Niebel eine bittere Pille schlucken.
    Dass Firmen sich ihren Mitarbeiterinnen als Verhütungs-Sponsoren anbieten, habe ich schon mehrfach gehört, vor allem aus Unternehmensberatungen – ein Phänomen, auf das auch der SWR -Chefreporter Thomas Leif in seinem Buch »Beraten und verkauft« hinweist. 23
    Was wie ein Akt der Großzügigkeit erscheint, ist ein Akt der Großkontrolle: Die Firma steckt ihre Nase unter die Bettdecke der Mitarbeiterin, um herauszufinden, was dort passiert oder nicht pas­siert. Eine Schwangerschaft gilt wohl als »Langzeiterkrankung«. Wer als Arbeitgeber die Pille bezahlt, installiert ein Frühwarnsystem.
    Das Sexualleben ihrer Mitarbeiter beschäftigt Firmen. Einige Irrenhäuser regeln es sogar vertraglich: Sie verbieten intime Beziehungen zwischen ihren Mitarbeitern. An dieses Liebesverbot haben sich alle zu halten, auch die Herzen. Ein Mitarbeiter hat seine Firma zu lieben, sonst niemanden. Wäre ja noch schöner, wenn zwei Mitarbeiter im wahrsten Sinne unter einer Decke steckten, um sich – als fiele ihnen dort nichts Besseres ein! – gegen die Firma zu verschwören.
    Irrenhäuser leben in der ständigen Angst, von ihren Mitarbeitern betrogen zu werden. Und heißt es nicht: »Liebe macht blind«? Wer garantiert, dass die Liebespartner nicht beide Augen zudrücken: Wenn der eine klaut, schaut der andere weg? Sie heißt Bonnie, er heißt Clyde. Und die Krankheit der Firma heißt: Verfolgungswahn.
    Natürlich würden die Irrenhäuser heftig bestreiten, dass die Liebe im Gehirn biochemische Vorgänge aktiviert, die sich auf die Arbeitsfreude noch vorteilhafter auswirken als die viertausendste Motivationsphrase eines Vorgesetzten, und dass Menschen, die sich lieben (was selten ist), besser zusammenarbeiten als solche, die sich hassen (was häufig ist).
    Doch auch ein Partner, der nicht in der Firma arbeitet, kann zum Arbeitsplatzrisiko werden. Diese Erfahrung musste der Ingenieur Maik Blase machen. 24 Vier Jahre war er als Leiharbeitnehmer für den Luftwaffen-Zulieferer Autoflug tätig. Die Firma war hochzufrieden mit ihm, er sollte als fester Mitarbeiter übernommen werden. Doch dann beging der Ingenieur einen unverzeih­lichen Fehler: Ende 2009 heiratete er eine Chinesin.
    Eine Chinesin! Das Irrenhaus geriet in Panik. Im März 2010 stellte die Firma den Ingenieur schlagartig frei. Die Begründung klang wie ein James-Bond-Drehbuch: Blase könne ja als Spion für China tätig werden. Zumindest aber sei er erpressbar. Offenbar glaubte man bei Autoflug, dass die Chinesen seine Frau und seine Tochter, die in China lebten, entführen könnten, um von ihm Betriebsgeheimnisse zu erpressen. Denn natürlich gibt es für China keine wichtigeren Informationen … Später, bei der schriftlichen Kündigung, wurden dann »betriebliche Gründe« vorgeschoben. Das Arbeitsgericht Elmshorn winkte die Kündigung durch. Doch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wusch dem Irrenhaus den Kopf und erklärte die Entlassung für rechtswidrig. Dem Ingenieur, der inzwischen eine andere Arbeit hatte ( nicht als Spion der Großmacht China, habe ich mir sagen lassen!), stand eine Abfindung zu.
    Und so nahm der James-Bond-Film ein gutes Ende: Die Liebe zu einer Chinesin ist kein Kündigungsgrund – auch wenn die Irrenhäuser es gerne so hätten.
    Â§ 12 Irrenhaus-Ordnung: Wenn zwei Mitarbeiter sich lieben, stört das den Betriebsfrieden. Wenn zwei Mitarbeiter sich hassen, entspricht das den Gepflogenheiten.

Irrenhaus-Sprechstunde 6
    Betr.: Wie ich gegen ein Küssverbot
verstoßen habe
    Ein altes Lied der Prinzen hätte unserer Firma als Erkennungsmelodie dienen können: »Küssen verboten«. Der amerikanische Einzelhandelskonzern

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