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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Tage kostenlos arbeiten, und wenn du wieder weg bist, kommt der Nächste. Und bei den vielen Arbeitslosen, die wir in Dresden haben, findet dein Chef genug Leute für einen ganzen Monat.«
    Außerdem war eine wichtige Frage offen: »Wenn du da nicht über Gamatec versichert bist – über wen dann?« Am liebsten hätte Emanuel Klein den Vertrag in Stücke gerissen. Doch der Kontakt war von der Arbeitsagentur vermittelt worden. Dieses Jahr hatte er schon zwei ähnliche Angebote abgelehnt und stand unter Zugzwang; die Behörde drohte, sein Hartz IV zu kürzen.
    Wo die Baustelle eigentlich liege, fragte »Wolle«. »Im Stellenangebot stand Dresden als Arbeitsort«, sagte Emanuel Klein. Aber warum war das Einsatzgebiet im Vertrag dann als »Deutschland und Europa« definiert? »Am Ende schicken die dich vielleicht nach Straßburg«, meinte Wolle. Er rief in der Hauptverwaltung in Frankfurt an, um herauszufinden, was ein »Einfühlungsverhältnis« sei? Niemand wusste Antwort. Es war kein juristischer Begriff, sondern ein Taschenspieler-Trick des Irrenhauses.
    Schließlich bekam Klein doch einen Vertrag ohne »Einfühlungs­ verhältnis«. Dennoch wurde er über den Tisch gezogen: Die Baustelle in Dresden hatte als Köder gedient. Nun, da er am Haken zappelte, wurde ihm der wahre Einsatzort offeriert: eine Baustelle bei Nordhorn, schlappe 600 Kilometer entfernt.
    Diese Episode stammt aus dem erschütternden Tatsachen­bericht »Die Sklavenhändler«, den der Schlosser Emanuel K. – der seinen vollen Namen nicht preisgibt – 2008 bei Books on Demand veröffentlich hat. 63 Der junge Mann beschreibt, wie er als menschliche Ware durch den ganzen deutschsprachigen Raum verschoben wurde, von Baustelle zu Baustelle, von Zeitarbeitsfirma zu Zeitarbeitsfirma. Er deckt auf, wie diese Firmen ihre Mitarbeiter über den Tisch ziehen, sich einen Dreck um deren Rechte, deren Gesundheit und deren Würde scheren.
    Einmal wurde der Zeitarbeiter Klein mit Kollegen in das österreichische Linz abkommandiert, um dort in einer Papierfabrik Rahmen und Stützen zu bauen. In der Fabrik hing feuchte Luft wie in den Tropen. Klein und seine Kollegen klotzten wie die Berserker. Obwohl es höllisch laut war, bekamen sie keine Ohrenschützer. Und obwohl sie mit funkensprühenden Schweißge­räten und messerscharfen Blechen arbeiten mussten, bekamen sie keine Schutzhandschuhe. Selbst über die größten Risiken ihres Arbeitsplatzes hatte sie niemand informiert, so dass es fast zu einer Katastrophe gekommen wäre:
    Â»Eines Abends kamen wir zur Nachtschicht. Die Männer von der Werksfeuerwehr liefen überall herum. (Mein Kollege) Ronny stand auf einem Gitterrost. In dem Kanal unter ihm waberte eine bunt schillernde, ölige Flüssigkeit. Als er sich über dem Rost eine Zigarette anzünden wollte, stieß ihn ein anderer Leiharbeiter zur Seite und brüllte: ›Bist du noch ganz dicht?! Willst du uns alle in die Luft jagen?‹« Offenbar handelte es sich um eine explosive Flüssigkeit.
    Die Männer schufteten im Akkord, nachts, an Sonntagen, rund um die Uhr. Doch als es an die Lohnabrechnung ging, war ihre Irrenhaus-Direktorin von dieser Einsatzfreude wenig erbaut: Sie rügte ihre Insassen, wie Klein berichtet, »weil wir unsere Stunden am Sonntag eingeschrieben haben und sie das jetzt ändern müsse. Die Firma hatte nämlich keine Sonntagsbaugenehmigung. Also wurden die Arbeitsstunden auf die Werktage umgeschrieben, und ich bekam keinen Sonntagszuschlag.«
    Dieselbe Chefin hatte sich schon früher als Miss Dagobert erwiesen. Als Ronny, der Kollege, sich vor einem Einsatz in Belgien erkältete, schickte sie ihm keine Besserungswünsche, sondern eine fristlose Kündigung. Damit war er arbeitslos, und das Krankengeld wurde vom Staat übernommen. Als die Erkältung auskuriert war, wurde er sofort wieder eingestellt.
    Die Zeitarbeits-Branche, in die Emanuel Klein eintauchte, ist ein zum Himmel stinkender Sumpf, der Menschen verschlingt. Die Irrenhäuser scheuchen ihre Insassen durchs Land, schubsen sie von einer Baugrube in die nächste, immer kurzfristig, immer willkürlich.
    Da werden Pausen, die den Arbeitern zustehen, einfach verweigert. Da werden Fahrtkosten, die laut Gesetz zu erstatten sind, eben nicht erstattet. Es fehlt an Schutzkleidung, an Arbeitsmitteln, an

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