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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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habe ich diesen Fall erlebt: Ein qualifizierter Ingenieur verließ seine Firma, als er zum wieder­holten Male damit gescheitert war, sein Gehalt von 3750 auf 4000 Euro erhöhen zu lassen. Doch bei der Suche nach einem Nachfolger stellt die mittelständische Firma fest: Unter 4500 Euro war niemand mit entsprechender Erfahrung zu bekommen.
    Der neue Mitarbeiter kassierte an seinem ersten Arbeitstag ein Gehalt, mit dem man seinen Vorgänger auf Jahre hätte halten können. Die Sache erwies sich als schlechter Tausch: Schon nach sechs Wochen hatte sich der Neue mit dem halben Team verkracht. Außerdem war er im wahrsten Sinne ein Anfänger: Er musste eingelernt werden wie ein Praktikant, begriffen aber nichts. Nach drei Monaten wurde er entlassen.
    Nun kam dem Irrenhaus-Direktor eine grandiose Idee: Er rief seinen Ex-Mitarbeiter an und fragte, ob dieser sich vorstellen könne, in seine alte Firma zurückzukehren – schließlich sei er ja noch in der Probezeit. Der Mitarbeiter erklärte, er verdiene jetzt 4400 Euro. »Kein Problem«, meinte der Direktor, »wir legen Ihnen da noch etwas drauf.«
    Der Ingenieur, der als Mitarbeiter vergeblich 4000 Euro ge­fordert hatte, war plötzlich als Nicht-mehr-Mitarbeiter knapp 5000 Euro wert. Gottlob hat er dieses Angebot abgelehnt – ihm war völlig klar, wie ihn das Irrenhaus als Angestellten bei neuen Gehaltswünschen behandelt hätte.
    Â§ 31 Irrenhaus-Ordnung: Langjährige Mitarbeiter sind bei Gehaltserhöhungen bevorzugt zu behandeln – indem man das, was ihnen zustünde, bevorzugt an Bewerber ohne Firmenkenntnis weiterreicht.
    Das Abwehrfeuer der Großverdiener
    Was schießt nach oben, höher und höher? Die Gehälter in Deutschland! Nichts auf der Welt ist in den letzten drei Jahrzehnten so schnell gewachsen wie diese Vergütungen. Nicht verdoppelt, nicht verdreifacht, nein: fast verfünffacht haben sich die Bezüge! 70 Allein der Gehaltssprung von 2009 zu 2010 lag bei satten 19 Prozent. 71
    Nun könnten Sie behaupten, bei Ihnen sei von diesem Gehaltssegen nichts angekommen. Und Sie könnten meckern, das verfügbare Nettoeinkommen der deutschen Arbeitnehmer sei zwischen 2001 und 2011 um 2,5 Prozent gesunken. 72 Dann kann ich nur antworten: Sie haben recht. Aber das gilt nicht für alle!
    Die Gehaltssteigerungen, von denen ich spreche, beziehen sich nicht auf den Bodensatz der Tasse, sprich die einfachen Arbeitnehmer, sondern auf die Sahne, die ganz oben schwimmt: die Top-Manager. Was die Vorstandsvorsitzenden der Dax-Konzerne einfahren, sind die höchsten Vergütungen aller Zeiten. So ging VW -Boss Martin Winterkorn 2011 mit einem Gehalt von 16,6 Millionen nach Hause, 63 Prozent mehr als im Vorjahr. Das entspricht 553 Arbeiter-Gehältern von 30 000 Euro im Jahr. Um elf Winterkorns auf dem Fußballplatz zu schlagen, bräuchte es 6087 Arbeiter. Geht’s noch?
    Natürlich wird jeder Irrenhaus-Direktor, der dieses Buch zu Spionage-Zwecken liest, mit einem triumphalen Grinsen sagen: »Unsere Gehälter sind explodiert, weil wir die Gewinne unserer Unternehmen enorm gesteigert haben.« Dieses Märchen ist schön, aber nicht wahr. Aus einer Studie der Ökonominnen Dalia Marin (München) und Francesca Fabbri (Norwich) geht hervor, dass die Gewinnentwicklung eines Unternehmens und die Gehaltsentwicklung des Top-Managements so viel miteinander zu tun haben wie die Lottozahlen mit einem Taschenrechner – so gut wie nichts! 73
    Und selbst dann, wenn die Gewinne einer Firma steigen, stellt sich die Frage: Steigen sie wegen oder trotz des Managements? Über Jahre habe ich eine Immobilienfirma in einer mittelgroßen Stadt beobachtet, die miserabel gemanagt wurde. Jede Schrottimmobilie, die sonst keiner haben wollte, wurde von den Managern aufgekauft. Das Unternehmen raste auf eine sichere Pleite zu.
    Doch eine Millisekunde, ehe die Firma zerschellt wäre, zauberte das Schicksal eine Überraschung aus dem Hut: Ein Großkonzern kündigte an, eine Niederlassung in dieser Stadt zu er­öffnen. Die Immobilienpreise zogen schlagartig an. Nun galten Häuser, für die sich zuvor nur Abrissbirnen interessiert hatten, auf einmal als begehrte Renovierungsobjekte, denn Tausende von Konzern-Mitarbeitern suchten nach neuem Wohnraum.
    Zu diesem Zufall hatte das Management nichts beigetragen. Und während die anderen

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