Ich arbeite in einem Irrenhaus
als Schimpfwort, sondern als positiver Begriff, sozusagen als Ehrentitel, gemeint gewesen …
Vor dem Arbeitsgericht Stuttgart spielte die Frage, ob die Bewerberin wegen ihrer ostdeutschen Herkunft abgelehnt worden war, keine Rolle. Vielmehr konzentrierte sich der Richter auf eine formale Wortspalterei: Ist »Ossi« nun eine eigene »Ethnie«, wie im Gesetzestext genannt? Dann wäre das Vorgehen der Firma anfechtbar. Oder ist »Ossi« keine eigene Abstammungsgruppe? Dann wäre kein gesetzliches Kraut gegen diese willkürliche Absage an die Bewerberin gewachsen.
Das Gericht entschied gegen die Bewerberin – zu Unrecht, wie ich meine. Der Richter hätte mehr auf die Intention des Gesetzgebers und weniger auf den Wortlaut des Gesetzes achten müssen. Die Idee ist doch: Jede Art von Diskriminierung durch (irre) Firmen soll verhindert werden. Das Wort »Gleichstellung« bezieht sich auf alle Arbeitnehmer, auch auf deutsche.
Betr.: Der Dank für ein Gespräch, das ich nie geführt habe
Letzten Juli habe ich mich bei einem Unternehmen in der Energiewirtschaft beworben. Vier Wochen hörte ich nichts. Früher hatte ich nach dieser Zeit per Telefon nachgefragt: »Sind meine Unterlagen angekommen?« Doch in den letzten Jahren bin ich von mehreren Firmen wie eine Stalkerin abgekanzelt worden: »Haben Sie doch Geduld! Sie sind nicht die einzige Bewerberin!« Seither halte ich beim Warten still.
Nach fünf Wochen trudelte ein dicker Umschlag der Energiefirma ein. Mit wachsendem Erstaunen las ich den Text: Der Personaler bedankte sich bei mir für das »interessante Vorstellungs-
gespräch«. Weiter hieß es: »Wir haben einen positiven Eindruck von Ihren fachlichen und persönlichen Qualitäten gewonnen.« Dennoch sei die Wahl auf einen anderen Bewerber gefallen.
Ich hatte ja immer geahnt, dass die Absagebriefe nichts als Floskeln enthalten. Aber dass mir für ein Gespräch, das ich gar nicht geführt hatte, gute Noten erteilt wurden – das setzte der Heuchelei die Krone auf.
Am liebsten hätte ich geantwortet: »Vielen Dank, dass Sie mir einen Arbeitsvertrag zugeschickt habe. Aber leider ist meine Wahl auf eine andere Firma gefallen.«
Jana Lürssen, Volkswirtin
§ 7 Irrenhaus-Ordnung: Absagen an Bewerber dürfen zu 99 Prozent auf Vorurteilen basieren (das stört keinen) – aber der Absagebrief darf nicht ein Prozent davon durchblicken lassen (das führt zu Prozessen).
Das Tarnkleid der Objektivität
Obwohl das Gericht danebenlag – ein treffsicheres Urteil erlaubt die »Ossi-Ohrfeige« dann doch, und zwar über die deutsche Personalauswahl. Was im Tarnkleid der Objektivität daherkommt, ist in Wirklichkeit eine gefährliche Mischung aus Pfusch und Willkür. Jeden Tag erlebe ich Personalentscheidungen, die nichts mit der Qualifikation eines Bewerbers zu tun haben, nur mit den Vorurteilen in einem Irrenhaus.
Zum Beispiel ist mir eine mittelständische Firma bekannt, die grundsätzlich keine Arbeitslosen einstellt. Lieber schaltet sie teure Inserate oder lässt Stellen unbesetzt, als die Vorschläge der Arbeitsagentur auch nur zu überfliegen. Der Geschäftsführer hat mir gesagt: »Schauen Sie sich doch die heutigen Kündigungsfristen an. Jeder hat genug Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. Wer das nicht schafft, dem fehlt es an Einsatzfreude. Solche Mitarbeiter brauchen wir nicht.«
Dummes Zeug? Aber sicher! Zumal diese Firma selbst schon Mitarbeiter über Nacht zu Arbeitslosen gemacht hat. Aber kann nicht jeder Arbeitslose ein Lied davon singen, dass ihn die meisten Firmen nur mit der Kneifzange anfassen?
Noch ein Beispiel für Willkür: Vor Jahren habe ich eine Biochemikerin (32) an einen Pharmabetrieb empfohlen, dessen Personalchef ich seit Jahren kenne. Die Frau war mir durch hohe soziale Kompetenz und einen Lebenslauf aufgefallen, der perfekt zu der ausgeschriebenen Position passte. Umso erstaunter war ich, als ich nach ein paar Wochen von der Bewerberin hörte: »Das Erstgespräch lief ausgezeichnet – doch dann kam eine Absage.«
Neugierig rief ich den Personalchef an. Der entschuldige sich tausendfach: Natürlich sei die Frau die mit Abstand beste Kandidatin für den Job gewesen. Nur habe der Fachchef kategorisch gesagt: »Sie ist verheiratet und Anfang 30 – das Risiko, dass sie demnächst in Mutterschaftsurlaub geht, ist mir zu groß.« Die wahre Begründung drang nie zu der Bewerberin vor.
Solche Vorurteile betreffen alle Hierarchieebenen. So kenne ich mittelständische Firmen, die
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