Ich arbeite in einem Irrenhaus
nicht gültig. Der Dienstweg? Führt in die Irre. Dieses Kapitel verrät Ihnen die heimliche Irrenhaus-Ordnung. Sie lesen …
• warum Jobs, die ausgeschrieben werden, immer schon vergeben sind,
• wie die Telekom ihre Kunden in einem toten Briefkasten entsorgte,
• warum bei Meetings der Sachverstand vor der Tür bleibt
• und wie krimineller Firmenirrsinn eine Innenstadt fast hätte einstürzen lassen.
Der Entscheidungsdschungel
Die Entscheidungswege vieler Firmen sind so verschlungen,
dass der brasilianische Regenwald dagegen übersichtlich wie der Stadtpark wirkt. Der Dienstweg spielt kaum eine Rolle. Zwar gilt er offiziell als Entscheidungshauptstraße, doch im Alltag schleichen sich wichtige Beschlüsse auf den informellen Trampelpfaden an. Diese Wirklichkeit ist im Organigramm nicht enthalten.
Das Organigramm! Es gaukelt eine Ordnung vor, die es so nicht gibt, ein klares Oben und Unten, ein Navigationssystem der Entscheidungswege. Als würden alle Beschlüsse so zuverlässig auf dem Dienstweg fließen wie das Wasser im Kanal. Die Irrenhäuser wollen den Eindruck erwecken, ihr Innenleben sei von Ordnung bestimmt und ihre Entscheidungen von Logik.
Doch diese Spielregeln gelten nur auf dem Papier. Die wahre Macht gehört demjenigen, der schnell, raffiniert und brutal genug ist, sie an sich zu reißen; demjenigen, der es schafft, seinen Willen gegen die Widerstände anderer durchzusetzen. Ein Spiel ohne Hierarchiegrenzen.
So manches Irrenhaus wird nicht von seinem Direktor, so manche Abteilung nicht von ihrem Leiter gesteuert. Zum Beispiel kenne ich einen Halbleiter-Hersteller, dessen Chef nicht einmal das Buffet für die Weihnachtsfeier freigeben würde, ehe ihm seine Assistentin durch ihr Nicken die Genehmigung dafür erteilt hat. Diese Assistentin, so erzählen es Mitarbeiter, ist sein Kompass. Sie hört den Flurfunk ab, bildet sich Urteile über Mitarbeiter, redet ihm Meinungen ein und aus. Und sie ist die Herrin seiner Zeit. Nicht mal ein Termin beim Irrenhaus-Direktor ist drin, wenn sie blockiert. Ohne sie – die im Organigramm keine Bedeutung hat – geht in dieser Firma gar nichts.
Ein Mitarbeiter erzählte mir: »Egal, was ihm seine Assistentin in die Unterschriftsmappe legt – er unterschreibt es ungelesen. Doch wenn sie ihre Stirn in Falten legt und sagt: ›Da muss ich erst mal mit dem Chef drüber reden‹ – dann kann man die Sache knicken.«
Auch im Vorfeld wichtiger Entscheidungen sieht man den Chef mit seiner Assistentin tuscheln – wie ein begriffsstutziger Schüler, der sich Lösungen vorsagen lässt. Es wird schon seine Gründe haben, warum sie ihn mittlerweile durch vier Unternehmen begleitet hat.
Einige Mitarbeiter haben den Einfluss des Vorzimmers erkannt und drehen Purzelbäume, um sich die Assistentin gewogen zu halten. Niemand bekommt wertvollere Geburtstagsgeschenke, charmantere Komplimente und eine größere Zahl an Einladungen zum Mittagessen als die Herrin des Vorzimmers.
Der Dienstweg ist ein Traumschiff der Theorie, das an den Klippen der Realität zerschellt. Das gilt in jeder Hinsicht, auch für die Bedeutung offizieller Meetings. Das sind keine Veranstaltungen, bei denen in großer Runde Beschlüsse gefällt werden – das sind Veranstaltungen, bei denen in großer Runde durchgesetzt wird, was vorher in kleiner Runde beschlossen wurde.
Eine Klientin von mir, die für ein amerikanisch geführtes Großunternehmen arbeitet, erzählte mir: »Lange war ich ein gutgläubiges Schaf und habe die Diskussionen für offen gehalten. Aber irgendwann fiel mir auf: Genau die Leute, die schon lange vor dem Meeting im Raum waren und ihre Köpfe zusammensteckten, haben bei den Sitzungen eine Front gebildet. Jede Idee aus ihrer Ecke haben sie zusammen durchgeboxt. Und jede Idee aus einer anderen Ecke gemeinsam blockiert.«
Später fand meine Klientin heraus, dass diese Herrenrunde sich jede zweite Woche nach Feierabend zum Biertrinken traf. Dann wurden Bündnisse fürs Meeting geschmiedet, Entscheidungen gefällt und auch vertrauliche Informationen ausgetauscht, zum Beispiel über frei werdende Stellen im Haus – so dass die Insider zulangen konnten, ehe die Allgemeinheit durch den Weckruf einer Ausschreibung aufmerksam wurde.
Manchmal habe ich den Eindruck: Von zehn Stellen, die eine Firma ausschreibt, sind elf inoffiziell schon besetzt. Die Entscheidungen fallen in der Kantine oder in der Kaffeeküche, auf dem Tennisplatz oder an der Bar. Dennoch wird
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