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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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etlicher Serviceteams spottete jeder Beschreibung. Einige Mitarbeiter konnten nicht mal beantworten, wie groß ein Mail-Anhang maximal sein darf.
    Da wurden Internetanschlüsse zum versprochenen Termin nicht freigeschaltet, ohne dass der Kunde eine Erklärung bekam. Da wurden Dienstleistungen von Kundenkonten abgebucht, die nie bestellt worden waren. Und da ließen sich die Firmen Alice und Freenet sogar Kunden entgehen, die schon gewonnen worden waren – die Bestellungen kamen abhanden.
    Diese Servicemängel sind umso fataler, als jede Ohrfeige, die ein Kunde von einer Firma einstecken muss, heute im Internet nachhallen kann. Was in Foren und Blogs steht, kann Millionen Menschen erreichen – und empören. Das Image von Firmen und Produkten ist schnell an die Wand gefahren.
    Bei Beschwerden stellt sich zudem die Frage: Geht es nur um die Bedürfnisse des Kunden? Oder ist nicht jede Reklamation eine wertvolle Rückmeldung für Firmen, wie sie ihr Angebot optimieren, Fehlerquellen erkennen und künftig am Markt noch erfolgreicher agieren können? Und weiß nicht jeder Marketing-Student im ersten Semester, dass der »Direktkontakt« mit dem Kunden ein unschlagbarer Trumpf ist, um ihn zu binden?
    Die Mitarbeiter der Irrenhäuser wissen all das auch. Aber sie passen ihr Handeln den ungeschriebenen Gesetzen an, wie mir eine Klientin neulich erklärte: »Klar, ich kann auf jeden Kunden ausführlich eingehen. Das würde ich auch gern. Aber wie soll ich dann meine Quote an Kundengesprächen schaffen? Außerdem ist doch klar: Kunden können mich nicht befördern. Kunden können mein Gehalt nicht erhöhen. Kunden schreiben mir auch kein Arbeitszeugnis. Im Zweifel stelle ich denjenigen zufrieden, der für mich wichtiger ist – meinen Chef!«
    Betr.: So steckten wir Kunden in den Papierkorb
    Unsere Firma hat einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Kunden sollten den Namen für ein neues Produkt erfinden. Das Motto der Aktion war: »Unsere Kunden sind kreativ – wir brauchen keine Werbeagentur.« Als Preis winkte eine Reise für zwei Personen in die Südsee. Tausende von Menschen haben uns geschrieben.
    Doch die liebevoll betexteten Karten und Mails nahmen alle denselben Weg: direkt in den Papierkorb. Denn der neue Produktname, von einer Werbeagentur entwickelt, stand zum Zeitpunkt der Ausschreibung bereits fest. Später hat ihn dieselbe Agentur vollmundig als »Kundenidee« vermarktet.
    Wer die Reise bekommen hat? Ein Großkunde, der an dem Wettbewerb gar nicht teilgenommen hatte. Seine Urlaubsbilder wurden im Internet und in unserer Kundenzeitschrift veröffentlicht unter der Überschrift: »Unsere Art, kreativen Kunden zu danken.«
    Wenn Papierkörbe sprechen könnten …
    Hubert Stein, Marketing-Assistent
    §15 Irrenhaus-Ordnung: Ein Kunde, dem die Firma ein Problem gemacht hat, gilt als »Problemkunde«.
    Meetings, bis der Arzt kommt
    Eines Tages brach im Dachgeschoss des Konzerns ein Feuer aus. Die Flammen fraßen sich durch den Flur und züngelten bald schon ins Büro des Vorstandsvorsitzenden. Der sagte durch die Sprechanlage zu seiner Sekretärin: »Frau Müller, rufen Sie bitte die Geschäftsleitung zu einem Meeting zusammen – wir haben da ein aktuelles Problem.«
    Frau Müller tat, wie ihr geheißen. Fünf Minuten später, als der Rauch schon so dicht war, dass man kaum mehr seine Hand vor Augen sehen konnte, scharte sich die fünfköpfige Geschäftsleitung um den Sessel des Chefs.
    »Was tun wir jetzt?«, rief der Prokurist aufgeregt.
    »Dasselbe wie immer«, antwortet der Vorsitzende. »Wir handeln nach Tagesordnung.«
    Alle schlugen das Protokoll des letzten Meetings auf. Man besprach nebensächliche Punkte, die zur Wiedervorlage vermerkt waren. Als die Flammen drauf und dran waren, den Holztisch mitsamt den Protokollen zu verschlingen, flog die Tür auf und ein Trupp der Betriebsfeuerwehr preschte mit einem löschbereiten Schlauch herein.
    Der Vorstand hob seine Hand wie ein Verkehrspolizist, um den Männern Einhalt zu gebieten. Dann hüstelte er durch die Sprechanlage: »Frau Müller, wir haben ungebetenen Besuch. Würden Sie die Herren nach draußen begleiten? Ich sage Ihnen dann Bescheid, wenn die aktuelle Gefahrenlage und deren Bekämpfung bei uns auf dem Protokoll stehen.«
    Diese Geschichte ist natürlich erfunden. Und sie ist wiederum doch wahr. Denn drei Beobachtungen darin sind der Realität entnommen.
    1. Meetings schieben nicht an, sondern bremsen aus
    Viele Firmen meinen: Je mehr Meetings es

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