Ich arbeite in einem Irrenhaus
›Handelt es sich um ein Neugerät? Sagen Sie bitte ja oder nein.‹ Als Kunde hätte ich längst den Hörer auf die Gabel und das Produkt in den Mülleimer geworfen.«
Nach einer halben Ewigkeit (»Brauchen Sie persönliche Unterstützung, um Ihr Anliegen zu lösen? Sagen Sie bitte ›Ja‹.«) schien das Ende des Irrweges erreicht: »Sie werden sofort mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbunden.« Doch von »sofort« konnte keine Rede sein: »Es kam Musik vom Band. Ich habe gewartet. 17 Minuten lang. Dann hatte ich eine Frau vom Serviceteam am Apparat.«
Markus Klose sprach die Callcenter-Agentin auf die lange Wartezeit an. Sie antwortete: »Darüber regen sich alle Kunden auf! Uns fehlt Personal, wir reden rund um die Uhr. Aber unser Chef sagt immer, wir haben von Ihrer Firma kein Budget für weitere Leute.«
Diesen Ritt durch die Servicewüste beschrieb Klose bei dem Meeting. Er schlug vor, den Reklamations-Button prominent auf der Homepage zu platzieren, dort auch gleich eine Telefonnummer zu nennen und für eine Wartezeit von unter einer Minute zu sorgen.
Die Antwort fiel einheitlich aus: schallendes Gelächter. Die Kollegen hatten vom Grafiker nur Anmerkungen zur Optik erwartet. Schließlich meldete sich der Vertriebschef zu Wort: »Was meinen Sie, warum wir nicht zum Reklamieren einladen? Wir verdienen mit Kunden, die etwas kaufen – nicht mit Meckerern. Jede Reparatur verhindert einen Neukauf.«
»Aber warum sollten verärgerte Kunden denn noch mal ein Gerät aus unserem Haus kaufen?«, hielt Markus Klose dagegen.
Der Vertriebsleiter lächelte mitleidig: »Haben Sie mal geschaut, wie die Servicewege bei anderen Herstellern sind? Der Kunde hat gar keine Ausweichmöglichkeiten. In diesem Punkt sind sich die meisten Firmen einig.«
Das ist bezeichnend für Irrenhäuser. Sie geben Millionen dafür aus, die Kunden per Werbung anzulocken, aber zappelt der Fisch erst mal am Haken, kümmern sie sich nicht weiter um ihn. Offenbar werden zwei Arten von Kunden unterschieden. Einer, der kauft – er ist höchst willkommen. Und einer, der gekauft hat – er wird, sofern er etwas fragen oder reklamieren will, vor den Kopf gestoßen. Der Horizont dieser Firmen reicht nicht weiter als die Handbewegung, mit der die Kassiererin das Geld in die Kasse stopft.
§14 Irrenhaus-Ordnung: Wer sein Geschäft in Ruhe betreiben will, muss drei Störfaktoren ausschalten: Steuergesetze, Naturkatastrophen und Kunden.
Ein toter Briefkasten der Telekom
Eine skandalöses Beispiel, wie man Service und Abservieren verwechselt, hat die Telekom geliefert: Zehntausende von Kunden bekamen auf ihre Reklamationen alle dieselbe Antwort – keine. Was tun, wenn man auf seine Beschwerde nichts hört? Man wechselt den Anbieter, was vernünftig ist. Oder man beschwert sich erneut, was in diesem Fall unvernünftig war – die Antwort blieb nach wie vor aus.
Was war passiert? Zwei interne Vorgänge bei der Telekom, eine Umorganisation und ein Streik, waren auf zahllose Kunden zurückgefallen – diese hatten in der Folge mit Pannen zu kämpfen. Deshalb rollte eine Reklamationsflut auf das Unternehmen zu. Doch der Konzern war listig. Er leitete die Proteste an einen Ort um, wo niemand davon behelligt wurde – in einen toten Briefkasten.
Die Telekom sprach von einem »systembedingten Abschluss«. Gemeint war: Diese Beschwerden wurden ignoriert, blieben ungelesen und unbeantwortet. Klappe zu, Kunde tot! 15
Dieser dreiste Umgang mit den Kunden wollte den Mitarbeitern der Deutschen Telekom Kunden Service GmbH Nordwest, die auf Weisung gehandelt hatten, partout nicht gefallen: Auf einer Betriebsversammlung in Bielefeld schrieben sie ein für alle Irrenhäuser relevantes Thema auf die Tagesordnung: »Macht Mogelnmüssen krank?« Mit ihren Direktoren gingen die Insassen hart ins Gericht. Ihre Zielvorgaben, so meinten sie, seien nicht auf dem ehrlichen Weg, sondern nur durch Täuschen und Tricksen zu erfüllen.
Doch die Telekom hat Glück, wie offenbar auch die Firma von Markus Klose: Die Wettbewerber laufen ihr in Sachen Kundenverprellung den Rang ab. Als die Stiftung Warentest den Service der Internetprovider unter die Lupe nahm, war das beste Ergebnis ein einziges »befriedigend«. 16
Die Tester brauchten starke Nerven, zum Beispiel beim Anbieter Freenet: Der Kunde hing durchschnittlich 14 Minuten in der Telefon-Warteschleife und musste 17 Tage und drei Stunden warten, ehe er eine Antwort auf seine Anfrage bekam. Das Fachwissen
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