Ich arbeite in einem Irrenhaus
offiziell der Dienstweg eingehalten, der in vielen großen Unternehmen zunächst eine interne und dann – sofern sich kein geeigneter Kandidat findet – eine externe Ausschreibung vorsieht.
Zum Beispiel geht das so: Über Nacht wird eine Planstelle frei. Der Abteilungsleiter greift um 8.01 Uhr zum Telefon, funkt einen alten Freund aus der Betriebssportgruppe an und lädt ihn in die Kantine ein. Zwischen Spargelsuppe und Schnitzel, um 12.10 Uhr, werden sich die beiden handelseinig: Der Freund bekommt den Job.
Nun gilt es, den Dienstweg zu befriedigen. Also reicht der Abteilungsleiter an die Personalabteilung ein Stellenprofil weiter, das er wie einen Maßanzug auf seinen Wunschkandidaten zugeschnitten hat. Dutzende von Bewerbungen trudeln ein. Doch nur eine, oh Wunder, passt perfekt in die Schablone der Ausschreibung. Zur Absicherung hat der Abteilungsleiter gegenüber dem Personaler durchblicken lassen, es gebe da einen besonders qualifizierten Kandidaten, den er unbedingt im Vorstellungsgespräch sehen wolle …
So wird Chancengleichheit vorgespiegelt, wo keine Chancengleichheit ist. So werden Stellen ausgeschrieben, wo keine Stellen sind. So spazieren Irrsinn und Willkür übers offizielle Regelwerk hinweg.
Betr.: Als ich eingestellt wurde, war mein Rauswurf schon beschlossen
Warum behandelten mich die neuen Kollegen vom ersten Tag an, als hätte ich die Pest? Warum ließen sie mich sitzen, wenn sie in die Kantine gingen? Warum schnitten sie mich von wichtigen Infos ab? Und warum machte mich mein Chef vor der ganzen Gruppe nieder? Er selbst hatte mich doch eingestellt und musste daran interessiert sein, dass ich die Probezeit überstand.
Eine Kollegin steckte mir: Der Chef hatte die Stelle eigentlich einem Spezi im Unternehmen, einem Ex-Kollegen, versprochen. Auf ähnliche Weise waren die letzten freien Positionen besetzt worden. Doch diese Vetternwirtschaft hatte den Ärger des Personalchefs auf sich gezogen. Dem Bereichsleiter war nahegelegt worden, endlich mal eine »externe Lösung« zu suchen – weshalb ich zum Zuge gekommen war.
Die teuflische Strategie des Chefs: Offenbar wollte er guten Willen vortäuschen, indem er einen Bewerber von außerhalb holt. Doch dann – leider, leider – sollte das Experiment scheitern. Was ihn dann zwingen würde, eine kurzfristige und unkomplizierte Lösung zu finden.
Meine Probezeit war die Hölle. Die ständige Kritik zermalmte mein Selbstwertgefühl. Am Ende hatte ich den Verdacht, tatsächlich so unfähig und bescheuert zu sein, wie es alle behaupteten. Als der Chef mich entließ, war das wie eine Befreiung.
Und wer rückte nach? Sein Spezi. Kurzfristig und unkompliziert.
Silke Kruse, Medizinisch-technische Assistentin
§13 Irrenhaus-Ordnung: Der Dienstweg ist im Unternehmen das, was die Milchstraße im Universum ist: kein wirklich gangbarer Weg.
Der Kunde, das unerwünschte Wesen
Es war ein interessanter Auftrag, den der Web-Designer Markus Klose (32) von seinem neuen Arbeitgeber bekommen hatte. Er sollte den Internetauftritt des Unternehmens, eines großen Vertreibers von Elektroprodukten, für ein internes Meeting kritisieren. Sein Chef hatte gesagt: »Schauen Sie mit unverbrauchten Augen: Was könnten wir besser machen?«
Klose tat, wie ihm geheißen. Dabei achtete er nicht nur auf das Design, sondern auch auf die Kundenfreundlichkeit: »Ich tat einfach mal so, als wäre ich ein Kunde, der etwas reklamieren will.«
Damit wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt: »Der Punkt ›Reklamation‹ war tief in der Navigation versteckt. Dort fand ich keine Telefonnummer oder Mailadresse – ich lief direkt in ein virtuelles Verhör, musste Antworten anklicken.« Auf pauschale Problemfragen (›Mein Gerät funktioniert beim ersten Gebrauch nicht.‹) folgten pauschale Problemantworten (›Bitte überprüfen Sie die Steckverbindung am Gerät und …‹). Klose war frustriert: »Als Kunde hätte ich mich veräppelt gefühlt.«
Erst am Ende dieses Hindernislaufes gelangte er an eine Service-Mailadresse: »Ich beschrieb mein Anliegen – worauf eine automatisierte Mail zurückkam, in der mich Links zu den vermeintlichen Lösungen führen sollten.« Ganz am Ende hieß es scheinheilig: »Sollten diese Informationen Ihr Problem immer noch nicht lösen, dann bitten wir Sie, unsere Service-Hotline zu wählen …«
Das tat Markus Klose. »Da meldete sich kein Mensch – sondern eine Stimme vom Band. Und schon ging die nächste Befragung los:
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