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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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gibt, desto effektiver werden die Probleme bewältigt. Genauso gut könnte man sagen: Je mehr Lottoscheine einer ausfüllt, desto besser legt er sein Geld an. Eine hohe Zahl von Meetings deute nicht auf Organisationsstärke, sondern auf Organisationsmängel hin, bestätigt der Managementvordenker Fredmund Malik. 17 Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Meeting etwas anders ist als davor, liegt nur einen Hauch über null.
    Viele Irrenhäuser veranstalten ihre Meetings nach dem Motto: Gut, dass wir drüber geredet haben. Sitzungen werden als Ersatzdroge fürs Handeln missbraucht. Als käme das Wort »Sitzung« von »Aussitzen«.
    Zum Beispiel weiß ich von einer Versicherung, die eine neue Produktkategorie mit Blick auf die Risiken der Internetkriminalität einführen wollte. Dieses Geschäftsfeld, von den klassischen Versicherern übersehen, versprach ein großes Umsatzvolumen. Also trommelte das Management ein »Kick-off«-Meeting zusammen.
    Damit kam eine Diskussion ins Rollen. Es gab, wie immer bei Meetings, zwei Parteien. Und es ging, wie immer bei Meetings, nicht um den Vorteil der Firma, sondern um die Profilierung der Teilnehmer. Die Befürworter der neuen Produkte redeten die Risiken klein, die Gegner beschworen den Firmenuntergang herauf.
    Beide Parteien legten sich ins Zeug. Sie schrieben Thesenpapiere, analysierten Wettbewerber und verschickten die Links von Fachartikeln. Die Verteiler der Mails wurden immer größer, die Diskussionen in den Meetings immer heftiger. Beide Parteien wollten sich, auf Irrenhaus komm raus, durchsetzen.
    Ein Meeting jagte das nächste, während der Aggressionspegel stieg: Die Insassen fielen sich ins Wort, keiften sich an und stempelten die Prognosen der Gegenseite, je nach Standpunkt, als »Schwarzseherei« oder »naiven Optimismus« ab. Die Versicherungsgruppe hatte ein interessantes Thema am Wickel. Doch am Ende hoben sich die Kräfte auf. Man hatte viel geredet. Aber nichts getan.
    So ist das oft bei Meetings: Ideen werden nicht angeschoben, sondern ausgebremst. Experimente nicht gewagt, sondern verhindert. Statt auf die Kunden, die Mitarbeiter oder den Markt zu hören, wird eine Weltmeisterschaft im Trockenschwimmen veranstaltet.
    Eine Umfrage unter 800 Führungskräften im deutschsprachigen Raum öffnet den Blick in ein Jammertal: 71 Prozent halten die Meetings in ihrer Firma für schlecht vorbereitet. 57 Prozent sind der Überzeugung, Meetings verzögerten Arbeitsabläufe. Und 52 Prozent finden, Verantwortlichkeiten würden bei Sitzungen unzureichend geklärt. 18
    Direkt nach der Umfrage, befürchte ich, sind die Manager ins nächste Meeting gehüpft. Denn ein Drittel von ihnen gab an, jeden Tag drei bis vier Stunden in Meetings zu verbringen. Macht in einem Berufsleben schlappe 15 bis 20 Meetingjahre.
    Ob das irre ist? Lassen Sie uns diese Frage gründlich klären. Beim nächsten Meeting.
    2. Bei Meetings geht es um die Macht – nicht um die Sache
    Bei wichtigen Meetings treffen sich die Häuptlinge des Unternehmens, die Führungskräfte. Jeder von ihnen ist es gewohnt, dass sein Wille bei den Indianern, sprich Mitarbeitern, als Befehl gilt. Völlig klar, dass es beim Zusammentreffen der Häuptlinge ein Problem gibt: Jeder will sich durchsetzen. Und den anderen auf den Pott setzen.
    Es wäre keine schlechte Idee, Psychologie-Studenten als Beobachter in Meetings zu schicken. Was sie dort über Gruppendynamik, Kommunikationsverhalten und Machtkämpfe lernen könnten, würde die wissenschaftliche Literatur zu diesen Themen übertreffen. Am interessantesten sind Meetings, die vor einem Zuschauer aufgeführt werden: dem Irrenhaus-Direktor. Wenn der oberste Chef mit am Tisch sitzt, laufen die Insassen zu Hochform auf, wie strebsame Schüler vor dem Oberlehrer. Jeder will sich vor dem Chef keine Blöße geben, sondern seine wahre Größe zeigen.
    Der Entwicklungsleiter rühmt sein jüngstes Produkt als größten Geniestreich seit Einführung der Glühbirne – ehe er die Schuld an der Misere dem Vertriebsleiter in die Lackschuhe schiebt. Der Vertriebsleiter bejubelt die Arbeit seiner Vertreter als größte Offensive seit Hannibals Marsch über die Alpen – ehe er dem Marketing-Leiter einen verbalen Kinnhaken verpasst: »Ein Produkt, für das wir nicht werben, muss sterben. So einfach ist das.« Der Marketing-Leiter stimmt ein Loblied auf seine jüngste Werbekampagne an – ehe er seine Giftspritze auf den Controller richtet: »Dass unser Werbeetat gekürzt wurde,

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