Ich arbeite in einem Irrenhaus
tätig für ein großes Leasingunternehmen, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn: »Unsere Firma ist ein Ameisenhaufen. Alles geht drunter und drüber. Rund um die Uhr wird gerannt, geredet, gemailt. Und warum? Nur um von dem eigentlichen Stillstand abzulenken!«
»Können Sie mal ein Beispiel geben?«, fragte ich.
»Bei uns gilt es als Dummheit, dass man eine Aufgabe einfach nur erledigt. Womöglich auch noch schnell und geräuschlos.«
»Und als klug gilt …«
»… das Lärmmachen! Wer etwas gelten will, schiebt eine Bugwelle vor sich her: Er trommelt eine Projektgruppe zusammen, gibt ihr einen staatstragenden Namen, beruft alle drei Tage eine Sitzung ein und bombardiert dann die halbe Firma mit seinen Protokollen. Dazu lädt er noch ein paar externe Experten. Die kosten zwar ein Schweinegeld, aber machen Eindruck. Der Ruhm fällt auf den Action-Helden zurück.«
»Kann es sein, dass Sie gerade etwas übertreiben?«
Er schüttelte energisch den Kopf: »Im Gegenteil. Neulich hat ein Kollege einen Doktoranden von der Uni angefordert und sein Mini-Thema zum Gegenstand einer Doktorarbeit aufgeblasen. Was für ein Quatsch! Dabei sollte er nur die Logistik unseres Fuhrparks optimieren. Das hätte er in einer Woche schaffen können. Jetzt wird es Jahre dauern, bis der Doktorand zu Potte kommt. Aber mein Kollege ist für diese Schnapsidee auch noch gelobt worden!«
»Von wem?«
»Von der Geschäftsleitung. In einer Hausmitteilung hieß es, diese Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sei ein zukunftsweisendes Signal. Die haben gleich noch eine Pressemitteilung für die örtliche Zeitung daraus gemacht.«
»Gute Werbung.«
»Das mag sein. Aber unter unserem Firmendach wuchern Wichtigkeitsgeschwüre, die niemandem nützen. Zum Beispiel hat der Prokurist neulich eine Idee eingeführt: Meetings mit Speeddating, zur kollegialen Beratung. Jeder Abteilungsleiter ist nun aufgefordert, in die Meetings ein klar definiertes Problem mitzubringen. Dann sitzen sich alle Teilnehmer in zwei Stuhlreihen wie beim Kindergeburtstag gegenüber. Jeder erzählt dem anderen eine Minute lang sein Problem.«
»Und dann?«
»In der zweiten Minute darf der andere Lösungen vorschlagen. Danach das umgekehrte Spiel. Und schließlich wechselt man einen Stuhl weiter und wiederholt das Ganze mit dem nächsten Kollegen.«
»Aber das klingt doch tatsächlich innovativ. So wird das Wissen der einzelnen Abteilungsleiter miteinander vernetzt.«
Er verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen: »Quatsch! Ich habe doch bei meinem Chef gesehen, wie schwierig es für ihn war, sich ein Problem aus den Fingern zu saugen. Seine echten Probleme behält er natürlich für sich, das würde seine Position schwächen. Außerdem ließen sich dafür sicher keine Lösungen in Ein-Minuten-Monologen von Fachfremden finden.«
»Warum, glauben Sie dann, finden diese Speeddatings statt?«
»Damit überhaupt etwas passiert! Damit die Geschäftsleitung in ihren Berichten groß verkünden kann: Seht her, wir sind innovativ! Wir tun alles! Wir kämpfen tapfer! Dann fragt auch keiner der Gesellschafter nach, warum wir vom Marktführer immer mehr abgehängt werden.«
Ein paar Tage nach diesem Gespräch spielte mir Lars Oppel ein paar Protokolle aus seiner Firma zu. Als ich diese Schriftsätze las, verschwanden meine Zweifel an seiner Darstellung. Dort wurden Nichtigkeiten zu Wichtigkeiten aufgebläht, Miniideen als Großinnovationen verkauft, und offensichtliche Zwergenleistungen kamen als Herkulesakte daher. Fast jeder zweite Satz war mit einem Ausrufezeichen versehen. Hier wurde nicht informiert, hier wurde gebrüllt. Viel Lärm um nichts. Wie so oft in deutschen Firmen.
Wer als Insasse eines Firmen-Irrenhauses vor einem Problem steht, hat zwei Möglichkeiten: Er kann es lösen. Das geht geräuschlos. Doch dann fällt kein Ruhm auf ihn zurück. Oder er kann ein Lösungsschauspiel aufführen. Am besten in mehreren Akten. Das macht Lärm – alle Aufmerksamkeit richtet sich auf ihn.
Ein Lösungsschauspiel bedarf einer gewissen Dramatik. Die erste Aufgabe besteht darin, das vorliegende Fingerhut-Problem zu einem Hindernis von der Höhe des Mount Everest aufzublasen. Motto: Je größer der Berg, der im Weg steht, desto kräftiger der Herkules, der ihn abträgt.
Ehe der Schaukampf beginnt, wird für eine volle Arena gesorgt: Möglichst viele Menschen in der Firma, vor allem Vorgesetzte, werden über diese anstehende Schlacht
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