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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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informiert, gerne durch einen ausufernden Mailverteiler. Dann gilt es, die Truppen zu sammeln. Also wird ein Krisenstab in Form einer Projektgruppe einberufen, der den Problemberg zwar nicht selbst anfasst, aber immerhin beschließt, auf welche Weise er abgetragen werden soll.
    Leider haben es Projektgruppen an sich, dass sie sich aus den Angehörigen verschiedener Abteilungen zusammensetzen, die meist unterschiedliche Interessen verfolgen. Man zieht am selben Strang, aber nicht in eine Richtung. Viel wird geredet. Aber wenig getan. Als bester Projektmitarbeiter gilt, wer bei den Wortgefechten die meisten Treffer landen.
    Bis dieser pompös aufgeführte Schaukampf sich dem Ende neigt, hat sich das Problem, das in Wirklichkeit nur ein Problemchen war, in vielen Fällen von allein in Luft aufgelöst. Doch die Projektgruppe ist der festen Überzeugung, sie habe den Berg abgetragen. Und so wurde wieder einmal mit größtmöglichem Lärm und Aufwand ein kleinstmögliches Ergebnis erzielt.
    §17 Irrenhaus-Ordnung: Mit dem Handeln im Unternehmen ist es wie mit dem Frauenzersägen im Zirkus: Man muss es nicht tatsächlich tun, sondern nur möglichst spektakulär vortäuschen. Das reicht für den Erfolg.
    Vom Pfuschen und Vertuschen
    Die große Baufirma hatte ein Milliardenprojekt in Köln ergattert. Sie sollte eine Nord-Süd-Tangente, eine neue U-Bahn durch die Innenstadt treiben. Doch es blieb nicht bei den unterirdischen Bauarbeiten – es kam zu unterirdischem Pfusch. Nachdem eine Katastrophe ganz Deutschland erschüttert, die Erde sich geöffnet und das historische Stadtarchiv mit zwei Nachbargebäuden verschlungen hatte, brachten Untersuchungen kriminelle Machenschaften ans Licht.
    Allein für drei Baugruben – am Heumarkt, am Rathaus und am Waidmarkt – fanden die Ermittler 28 gefälschte Vermessungs-Protokolle. 19 Die Untersuchung der Baustellen ergab, dass es vielerorts an allem fehlte, was seriöse Bauarbeit ausmacht – an Beton, an Eisenträgern, an der nötigen Stabilität. Zum Beispiel hatte ein korrupter Polier die Stahlbügel, mit denen Schächte stabilisiert werden sollten, tonnenweise zum Alteisen-Händler geschleppt und verhökert. »Verlassen von allen guten Meistern«, kommentierte die »Süddeutsche Zeitung« diesen Skandal.
    Ist das nicht irre? Da riskiert ein Polier den Einsturz der Kölner Innenstadt, nur um ein bisschen Geld mit altem Eisen zu machen. Wie muss es um die Kultur einer Firma, um die Identifikation mit der eigenen Arbeit bestellt sein, wenn der Bauarbeiter die reinsten Fallgruben errichtet? Dabei setzt er nicht nur Menschenleben, sondern auch den guten Ruf seiner Firma aufs Spiel.
    Doch ist es überhaupt legitim, aus diesem Einzelverhalten auf eine ganze Firma zu schließen? Kann ein irrsinniges Handeln, wie es dieser Mitarbeiter praktiziert hat, nicht auch im Klima einer vollständig gesunden Firma wachsen? Theoretisch schon. Aber »Auswüchse« haben, wie das Wort schon andeutet, meist Wurzeln – und die reichen tief und speisen sich aus der Kultur einer Firma.
    Nehmen wir die Stahlbügel. Das sind keine Zahnstocher, die man mal eben in der Westentasche verschwinden lässt. Muss es auf der Baustelle nicht Dutzende Kollegen gegeben haben, denen das Fehlen der schweren Stahlträger aufgefallen ist und die erfahren genug waren, um das Einsturzrisiko zu erkennen? Warum hat keiner von ihnen Rabatz gemacht?
    Und wie stand es mit dem Vorgesetzten: Welchen Umgang mit seinen Mitarbeitern pflegte er, dass diese wichtige Information nicht zu ihm vordrang? Oder hatte er doch davon gehört, aber nichts hören wollen? Und überhaupt: Wer hat die gefälschten Protokolle geschrieben? Wer hat sie abgenommen? Und welche Verbindung gibt es zwischen dem gesparten Beton und den verschwundenen Trägern?
    Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir es hier – und auch bei vielen anderen Skandalen – nicht mit schwarzen Schafen, nicht mit dem Versagen Einzelner zu tun haben, sondern mit den Metastasen eines kranken Irrenhauses.
    Wann immer ich in den Medien von spektakulären Fällen höre – von einem Bankangestellten, der ein Vermögen verzockt hat, oder von einem tyrannischen Vorgesetzten, der seine Mitarbeiter bis in den Selbstmord gemobbt hat – stelle ich mir die Frage: Was sagt dieses Verhalten eines Einzelnen über die Gesamtheit, über die Firma aus? Auf dem Humus welcher Firmenkultur können die Schlingpflanzen dieses Irrsinns wachsen?
    Aus zahlreichen Erzählungen meiner Klienten

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