Ich arbeite in einem Irrenhaus
seiner Religion, seiner Weltanschauung oder seines Alters, seiner sexuellen Identität oder einer Behinderung. Zum Beispiel war es künftig höchst gefährlich, den Wunschbewerber in einer Ausschreibung als »jung« »lebenserfahren«, »mobil« oder »Muttersprachler« zu definieren.
Der Chef hörte sich all das an. Sein Gesicht wurde finster wie eine Dunkelkammer. Er versprach, über die »Konsequenzen« nachzudenken. Wir hatten ein mulmiges Gefühl.
Zwei Wochen später kam es knüppeldick. Die komplette Personalabteilung, ließ der Chef uns wissen, werde zum Jahresende an einen Dienstleister ausgelagert – »aus Gründen der Effizienz«, behauptete er. Womit sich die Risiken durch das neue Gesetz für ihn erledigt hatten.
Wir waren fassungslos: Unser Fortbildungswunsch und unser ehrlicher Hinweis auf die Folgen des neuen Gesetzes waren missbraucht worden, um unsere Arbeitsplätze zu liquidieren. Hätten wir nur die Klappe gehalten!
Maria Ammer, Personalleiterin
§23 Irrenhaus-Ordnung: Bei einer Firmendiät nimmt nicht der Chefkoch ab, der das Einspargericht zusammenbraut, sondern nur die Mitarbeiter, die es auslöffeln.
Der Schlecker-Trick
Einige Irrenhäuser haben die Schleichpfade der Arbeitnehmer-Überlassung entdeckt. Der Mitarbeiter wird nicht beim eigenen Unternehmen angestellt, sondern bei einer anderen, vorzugsweise kleineren Firma. Diese Firma dient als Strohmann: Sie »überlässt« oder »verleiht« den Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit.
Da sitzt also ein Mitarbeiter in der Firma, ohne ein Mitarbeiter dieser Firma zu sein. Nur wer ganz genau hinschaut, kann die Unterschiede erkennen. Zum Beispiel haben die »überlassenen« Arbeitnehmer oft Mailadressen, die einen Tick von denen der Stammbelegschaft abweichen – und sie zu Mitarbeitern zweiter Klasse stempeln. Genau so werden die Leiharbeiter auch behandelt. Etwa beim Gehalt.
Das brachte den Drogisten Schlecker auf eine Idee: Erst schloss er rund 800 kleine Läden, machte Hunderte von Mitarbeitern arbeitslos. Doch dann warf dasselbe Unternehmen, das gerade noch »betriebsbedingt« entlassen hatte, flugs den Wachstumsmotor an: Neue »XL«-Märkte schossen wie Pilze aus dem Boden, vorzugsweise in direkter Nachbarschaft ehemaliger Filialen. 27
Das Personal war schnell beschafft. Man bot den frisch Abgesägten an, in den neuen Geschäften wieder Wurzeln zu schlagen. Der Haken an der Sache: Die Verträge wurden nicht direkt von der Firma Schlecker, sondern von der Zeitarbeitsfirma »Meniar« offeriert. An deren Spitze stand – wie praktisch – ein ehemaliger Schlecker-Manager.
Die Stundenlöhne, bei Schlecker rund 12 Euro (und tarifgebunden), stürzten bei Meniar auf 6,50 Euro ab. Das Weihnachts- und Urlaubsgeld lösten sich auf in Schall und Rauch. Und die Urlaubstage wurden auf das gesetzliche Minimum zusammengestrichen.
Unter diesen neuen Vorzeichen durften die Mitarbeiter eine Arbeit antreten, die sich von ihrer alten kaum unterschied – bis auf die radikal gekürzten Leistungen des Arbeitgebers.
Mit solchen Praktiken kennt sich das Inhaber-Ehepaar Anton und Christa Schlecker aus: Vor zwölf Jahren brummte ein Gericht den beiden eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten und eine Geldstrafe von einer Million Euro auf. Auch damals hatten sie ihre Beschäftigten unter Tarif bezahlt. 28
Ein neues Gaunerstück? Nein, sagt das Unternehmen, diesmal habe man »im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort gehandelt«, um durch Kostensenkung »wertvolle Arbeitsplätze zu erhalten«. Zumindest die Kostensenkung ist nicht zu leugnen.
Dass Schlecker diese Praxis schließlich beendete, lag nicht zuletzt am öffentlichen Druck. Auch Bundesministerien hatten gegen Schleckers Leiharbeits-Praktiken gewettert. Was die ministerialen Irrenhäuser für sich behielten: Die Zahl ihrer eigenen Leiharbeiter schnellt nach oben. Im Jahr 2009 waren es fast doppelt so viele wie im Vorjahr – 1343. Den Lohn dieser Arbeitskräfte behielten die Ministerien für sich. Angeblich nicht aus Scham, sondern aus Gründen des Datenschutzes. 29
Das Lohndumping über Tochterfirmen greift um sich. Allein die Bahn hat 15 Tocherfirmen gegründet, um ihre Kosten zu senken. Und die Post lachte sich in Düsseldorf eine Tochter unter dem Namen »First Mail« an, deren Mitarbeiter keine stattlichen Postgehälter, sondern nur den tariflichen Mindestlohn von 9,80 Euro bekommen.
Schon die Begriffe lassen tief blicken: Ein Arbeitnehmer wird »verliehen« oder
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