Ich arbeite in einem Irrenhaus
abgestürzt!« Einmalige Momente, wie Einschulungen und Urlaube, waren für immer verloren. Die Kunden tobten.
Die Filialleiterin hielt es für ihre Pflicht, die Zentrale zu alarmieren. Doch ihr Anruf wurde mit dem Hinweis auf die großartigen Verkaufszahlen abgebügelt. Als die Protestwelle immer mehr anschwoll, schrieb die Filialleiterin einen Brief: Sie warnte die Zentrale vor einem Vertrauensverlust bei den Kunden.
Der Prokurist des Irrenhauses lud sie zu einem Gespräch ein. Der Verlauf überraschte meine Klientin völlig: »Er nahm mich ins Gebet und zischte: ›Spielen Sie sich doch nicht als Robin Hood auf. Oder nehmen Sie ein paar Kundenbeschwerden wichtiger als die Interessen Ihres Arbeitgebers? Vergessen Sie nicht, wer Sie bezahlt. Das Produkt verkauft sich glänzend.‹«
Meine Klientin wies darauf hin, dass es im Interesse der Firma sei, auf die Bedürfnisse der Kunden zu achten. Der Prokurist grinste schief und meinte: »Vielleicht stehen Sie Ihren Kunden deshalb so nah, weil Sie schon so lange in Ihrer Filiale sind. Wir sollten mal über eine Versetzung nachdenken.« Meine Klientin hatte verstanden – und schwieg.
Zwei Monate später erschien in einer Fachzeitschrift ein kritischer Bericht über die Kamera. Die Zentrale reagierte über Nacht: Sie nahm das Produkt vom Markt. Die Meinung eines Journalisten war ernst genommen worden – der Protest aus der eigenen Filiale nur auf die leichte Schulter.
Der klassische Fall einer Zentralentscheidung war die Idee der Deutschen Bank, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einen Teil des Privatkundengeschäfts in eine Art hausinternes Arme-Leute-Institut, die »Deutsche Bank 24«, abzuschieben. Das Kerngeschäft, so meinte die Zentrale, würde ohnehin mit den Geschäftskunden und den reichen Privatiers gemacht.
Dabei übersah das Zentralhirn in Frankfurt jedoch eine Kleinigkeit, auf die es von zahlreichen Filialmitarbeitern hingewiesen wurde: »Unsere Kunden werden sauer sein, wenn wir sie zu Kunden zweiter Klasse erklären und unter das Dach eines Zweite-Klasse-Instituts schieben. Das riecht nach Ärger, nach Image-Schaden!«
Aber vom Feldherrenhügel der Zentrale setzte man sich über diese Bedenken lässig hinweg – worauf es exakt so kam, wie von den Filialmitarbeitern ausgemalt. Ein Aufschrei der Empörung ging durchs Land. Etliche Kunden lösten aus Protest ihre Konten auf. Und das Image der Deutschen Bank stürzte ab. Erst viel später, als der Schaden schon entstanden war, lenkte das Zentralhirn ein.
Ein bezeichnendes Beispiel für arroganten Zentralismus lieferte im Frühjahr 2010 auch die CDU im nordrhein-westfälischen Wahlkampf: Die Zentrale um Landespartei- und -regierungschef Rüttgers – sprich Staatskanzlei – hielt es für nötig, ihre Außenstellen – sprich die CDU-Abgeordneten – mit überflüssigen PR-Mails zu bombardieren. Das fraß Zeit, die dringend für den Wahlkampf benötigt worden wäre. Einer der CDU-Abgeordneten fand den Mut, die Zentrale auf diese Tatsache hinzuweisen.
Damit zog er den Zorn des Zentralhirns auf sich. Der Rüttgers-Vertraute Boris Berger, seines Zeichens Abteilungsleiter in der Staatskanzlei, schrieb für seine Zentral-Mitarbeiter den Vermerk: »Kann den nicht einmal einer anrufen und ihm sagen, dass er mit Abstand der dümmste Abgeordnete der Fraktion ist?« 30
Genau nach diesem Muster reagieren Konzernzentralen: Wer als »Niederlassungs-Heini« seine eigene Meinung äußert, gilt als Quertreiber. Dumm ist nie die Entscheidung der Zentrale – dumm ist immer nur der Protest dagegen.
Mit den Jahren stumpfen die Niederlassungen ab. Sie begreifen, dass die (Fehl-)Entscheidungen der Zentrale so unvermeidlich wie das Wetter sind, lassen die Klagemauer links liegen – und gehen zum Schweigen über. Diese Grabesstille eines Motivationsfriedhofs wird von den Zentralen oft noch als gutes Zeichen, als »stillschweigende Zustimmung« der Beifahrer zum Kurs missverstanden.
Sind die Mitarbeiter der Irrenhaus-Niederlassungen hirnlos? Ganz sicher nicht. Auch wenn sie ihren Kopf nicht in erster Linie zum Denken gebrauchen. Sondern? Zum Kopfschütteln über die Zentrale!
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