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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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einem typischen Tagungshotel freigibt, ringt seinen Chefkollegen nur ein typisches Gähnen ab. Wer dagegen von der Suche nach einem verschütteten Lawinenopfer berichtet, vom Einstieg in eine Eishöhle oder vom Erklimmen einer Steilwand, dem kleben seine Geschäftspartner an den Lippen wie Kinder einem Märchenonkel. Wer außergewöhnliche und originelle Fortbildungen genehmigt, will selbst als außergewöhnlich und originell wahrgenommen werden. Besonders Irrenhaus-Direktoren in kreativen Branchen schmücken sich mit solchen Abenteuerseminaren wie mit Tennispokalen. Die bewundernden Blicke von außen sind entscheidend.
    Und was ist mit dem Lerneffekt für das Team? Der stürzt schon mal die Steilwand hinab. Oder bleibt unter einer Fortbildungslawine verschüttet.
    §22 Irrenhaus-Ordnung: Ein Outdoor-Seminar erkennt man daran, dass niemandem das Dach auf den Kopf fällt – aber jeder selbst auf den Kopf fallen kann.
    In Schlankheit sterben
    Achten Sie mal darauf, welches Thema die Frauenzeitschriften im Frühjahr dominiert: Es geht ums Abspecken. Dasselbe Thema treibt die deutschen Unternehmen um. Nur dass sie keine überflüssigen Pfunde, sondern überflüssige Mitarbeiter abbauen wollen. Ganzjährig. Und da deutsche Unternehmen für ihre Gründlichkeit bekannt sind, treiben sie diese Diät bis zur Magersucht. Am Ende steht nicht mehr der Kunde im Mittelpunkt, sondern es geht um die klassische Frage des Serienkillers: »Wie schaffe ich meine Opfer möglichst geräusch- und spurenlos aus der (Firmen-)Welt?«
    Die Irrenhäuser bringen alles um die Ecke, was ihrem Schlankheitswahn im Weg steht. Das gilt für einzelne Mitarbeiter, aber auch für ganze Abteilungen. Die Firmen haben kein Problem damit, sich das eigene Herz, die Personalabteilung, aus dem Leib zu reißen und auszulagern. Soll doch eine Fremdfirma die Personalpolitik, die Zukunft des eigenen Unternehmens, in Händen halten. Völlig egal.
    Ein Weg der leisen Liquidierung: reife Mitarbeiter aufs Altenteil abschieben. Ein bemerkenswertes Beispiel habe ich bei einem norddeutschen Konzern verfolgt: Das Management tat alles, um Ingenieure ab Anfang 50 aus dem Unternehmen zu drängen. Einer nach dem anderen ging, bestenfalls in Frührente. Der Vorstand beobachtete stolz, wie sich das Durchschnittsalter verjüngte und der Personalbestand schwand.
    Nur eine Winzigkeit hatte man dabei übersehen: Die älteren Ingenieure gingen nicht nur in Rente; sie nahmen ihre kostbaren Erfahrungen mit. Über die Jahrzehnte hatten sie Hunderte von Produktentwicklungen mitgemacht, ein Gespür für die Fehlerquellen entwickelt und ihre Prozesse perfekt auf die einzelnen Kunden abgestimmt. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen machten die Qualitäten der Firma aus.
    Während der Konzern dachte, er würde überflüssige Pfunde verlieren, verlor er in Wirklichkeit sein Knochenmark. Bei den nächsten Produktentwicklungen kam es zu massiven Schwierigkeiten. Die Räder griffen nicht mehr ineinander. Zeiten wurden falsch eingeschätzt, Mitarbeiter unzureichend koordiniert. Und niemand sprach mehr dieselbe Sprache wie die langjährigen Kunden.
    Erst als ein wichtiger Auftraggeber das Kasperletheater satthatte und mit seinem Absprung drohte, zog die Geschäftsleitung die Reißleine. Man trat an einige der verrenteten Routiniers heran und lockte sie, die gerade Rausgedrängten, mit Beraterverträgen zurück in die Firma. Und siehe da: Auf einmal liefen die Prozesse wieder.
    Allerdings hatte diese Irrsinns-Politik ihren Preis. Die gekränkten älteren Mitarbeiter gaben sich nicht mit ihren alten Gehältern zufrieden, sondern ließen sich ihre Arbeitsleistung mit einem kleinen Vermögen aufwiegen. Die Firma hatte es geschafft, schlanker zu werden. Aber der Preis, den sie dafür zahlte, war wieder einmal viel zu hoch.
    Betr.: Wie mich ein Gesetz, das Gleichheit fördern soll, arbeitslos machte
    Zusammen mit drei Kolleginnen bildete ich die Personalabteilung eines textilienverarbeitenden Betriebs. Als im Jahr 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erlassen wurde, standen wir bei unserer Geschäftsleitung auf der Matte, um Fortbildungen zu diesem Thema zu beantragen. Als Begründung führten wir an: Schon ein falsches Wort in einer Ausschreibung oder eine falsche Frage in einem Vorstellungsgespräch genüge, damit abgelehnte Bewerber die Firma verklagen könnten.
    Das Gesetz sah vor: Niemand sollte benachteiligt werden wegen seiner Rasse oder ethnischen Herkunft, seines Geschlechtes oder

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