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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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»überlassen«. So wie man Autos (ver)leiht. Oder Bohrmaschinen. Das, was ein Mensch war, wird durchs Verleihen zur Ware gemacht, zum Werkzeug.
    Die Diffamierung lässt keinen Winkel einer Firma aus. Ich saß schon in etlichen Kantinen, in denen es zwei Preisstufen gibt: eine für Stammmitarbeiter, die ihr Schnitzel für 4,99 Euro essen, und eine für Leihmitarbeiter, die dafür 6,99 zahlen. Auch was die Arbeitszeiten, die Urlaubstage, die Sozialleistungen und die betrieblichen Rechte angeht, sind die Leiharbeiter die Sklaven der Gegenwart.
    Der Ehrgeiz der Unternehmen besteht darin, dass immer weniger feste Mitarbeiter auf der Gehaltsliste auftauchen und Sozialleistungen beanspruchen. Gefragt ist robustes Leihinventar, das den einen oder anderen Schlag verträgt. Jeder kennt das von Leihautos: Man geht damit unsanfter um als mit dem eigenen Wagen. Waschen, warten, pflegen? Keine Spur! Ebenso gehen die Leihmitarbeiter bei der Personalentwicklung, zum Beispiel bei Fortbildungen, oft leer aus. Die Festangestellten machen Schritte – sie bekommen Tritte.
    Die Irrenhäuser werden nicht nur schlanker – sie werden auch kranker. Beim Umgang mit ihrem kostbarsten Gut: den Mitarbeitern.
    §24 Irrenhaus-Ordnung: Überlassene Mitarbeiter haben drei Vorteile: Man kann sie jederzeit bekommen. Man kann sie jederzeit loswerden. Und man kann sie, wie der Name schon sagt, bei Vergütung, Sozialleistungen und Fortbildungen sich selbst überlassen.

5.
    Durchgeknallte Konzerne:
Irrsinn in XXL

    Für etwas mehr Durchblick würde ich auf den
Ausblick glatt verzichten.
     
    I n Konzernen fällt alles eine Nummer größer aus: der Umsatz, das Gebäude, die Bürokratie – und natürlich auch der Irrsinn. Er macht sich breit in XXL. In diesem Kapitel lesen Sie …
     
    • warum Firmenzentralen ihre Niederlassungen für saudumm halten (und umgekehrt!),
    • warum der Prozess im Konzern grausamer als der gleichnamige Roman von Kafka ist,
    • wie das Fusionsfieber Daimler dazu trieb, sich Waschmaschinen zu angeln,
    • und was sich die Mitarbeiter eines Konzerns einfallen ließen, als sie am Jahresende ohne Papier und Etat dafür dastanden.
    Das unheimliche Zentralhirn
    »Die Zentrale ist das Gehirn unserer Firma«, hat einmal der Prokurist eines großen Einzelhandelskonzerns zu mir gesagt. In diesem Satz schwang eine gehörige Portion Stolz mit. Aber wie lautet der Umkehrschluss? Doch nur: dass die Niederlassungen hirnlos sind! Dass sie, wie menschliche Arme, hilflos am Firmenkörper baumeln, bis ihnen das Zentralorgan mitteilt, welche Handgriffe sie auszuführen haben.
    Überall in Deutschland sehen es Firmenzentralen als ihre Aufgabe an, Verantwortung für ihre Außenstellen zu übernehmen . Anders gesagt: Sie nehmen diese Verantwortung ihren Niederlassungen weg. Die Zentralen wünschen sich Filialen, die klaglose Beifahrer sind – und die Finger weg vom Lenkrad lassen.
    Selbst wenn der Beifahrer nur »Achtung, Hindernis!« ruft, sind die Zentralen sauer. Sie halten sich für so kompetent, so unfehlbar, so überlegen, dass sie sich von den Filialen nicht »dazwischenreden« lassen. Ihr Kurs gleicht einem Nagel: Ist er eingeschlagen, gibt es kein Zurück mehr.
    Jede Firmenzentrale in Deutschland ist eine Klagemauer: Die Mitarbeiter der Niederlassungen protestieren gegen Produktmängel, warnen vor weltfremder Geschäftspolitik, funken SOS bei fallenden Umsätzen, reichen Beschwerden von Kunden weiter. Aber all das prallt an der Klagemauer ab.
    Die Niederlassungen werden vom Zentralhirn als tiefe Täler ohne Überblick betrachtet (daher das Wort »Nieder«), die Filialleiter werden spöttisch »Provinzfürsten« genannt. Sie gelten als kleinkarierte Bedenkenträger, die von ihren Hirngespinsten zu heilen und auf den Kurs der Zentrale einzuschwören sind.
    Wie oft habe ich von Niederlassungs-Mitarbeitern gehört, dass sie ihr Hauptgeschäft darin sahen, die durch ihre Zentralen verursachten Schäden zu begrenzen. Wie oft wurde mir geklagt, dass jene Manager, die am Steuerrad des Konzerns drehen, seit Jahren in keiner Filiale mehr gesichtet wurden und mit keinem Kunden mehr gesprochen haben.
    Das führt zu Vorfällen wie diesem, den mir die Leiterin einer Einzelhandels-Filiale erzählt hat: Die Zentrale hatte ein neues Produkt ins Sortiment aufgenommen, eine Digitalkamera. Das Gerät war preisgünstig und wurde ein Verkaufsrenner. Doch immer mehr Kunden stürmten wutentbrannt ins Geschäft: »Die kompletten Fotodaten sind mir

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