Ich arbeite in einem Irrenhaus
sich die Zwangsweste eines Arbeitsvertrages schließt? Warum verkennt ein Bewerber, dass die neue Abteilung, um deren Gunst er buhlt, eine »geschlossene Abteilung« ist? Und mit welchen Lockmitteln und Augenwischereien tragen die Irrenhäuser dazu bei? Nur wer diese Irrtümer kennt, wer seinen eigenen Anteil am Entstehen der Misere beleuchtet, kann daraus für die Zukunft lernen – für die Flucht aus dem Irrenhaus (von der das nächste Kapitel handelt):
1. Irrglaube: Es kann nur besser werden
Wer seine aktuelle Firma für ein Irrenhaus und seinen Job für die schlimmste Strafe seit Abschaffung der Folterkammer hält, neigt zu einem fatalen Fehler: Jeder andere Job scheint ihm wie ein Notausgang. Da ist jemand so fixiert auf die Hölle, die er verlässt, dass er die Hölle übersieht, die möglicherweise vor ihm liegt.
Neulich sagte ein Klient zu mir: »In der nächsten Firma kann es nur besser werden!« Ich habe geantwortet: »Der Irrsinn ist wie ein Adjektiv: Er lässt sich steigern!« Das fällt aber erst nach Einzug in ein neues Irrenhaus auf, wenn die nette Fassade aus dem Vorstellungsgespräch zu bröckeln beginnt und der Putz einer durchgeknallten Realität sichtbar wird.
2. Reinfallen auf Falschgold
Aufgeregt wie bei ihrem ersten Rendezvous – das sind viele Bewerber, wenn sie das Gebäude eines potentiellen Arbeitgebers betreten. Erst recht, wenn sie den Namen der Firma bislang nur aus den Wirtschaftnachrichten kennen. Und nun, oh Wunder, schreiten sie in diese heiligen Hallen.
Und worauf achtet der kleine Mann, wenn er einen Palast betritt? Nicht darauf, ob der Palast gut genug für ihn ist – sondern darauf, ob er gut genug für den Palast ist. Die meisten Bewerber sind so mit dem Schinden von Eindruck beschäftigt, dass sie selbst keinen Eindruck von der Firma gewinnen. Der Irrsinn entgeht ihnen. Aber sie entgehen (später) nicht dem Irrsinn.
3. Kleine Signale übersehen
Was tun Firmen, um offensichtlichen Irrsinn doch zu verbergen? Sie behandeln ihn wie einen großen Pappkarton. Sie falten ihn, setzen sich darauf und trampeln auf ihm herum, nur um ihn kleiner zu machen, verschwinden zu lassen. Doch der Irrsinn ist widerborstig wie der Karton: Er richtet sich immer wieder auf.
Irrsinn lässt sich nicht komplett vor einem Bewerber verbergen. Den meisten neuen Mitarbeitern fallen nach ihrer Einweisung per Arbeitsvertrag tausend Kleinigkeiten ein, die sie schon im Bewerbungsverfahren in der Firma hätten stutzig machen können. Zum Beispiel, dass der Chef nur sie selbst hofiert hat – aber seinem Assistenten keinen Blick widmete, als der ihm ein Papier brachte (siehe Frühwarnsystem, Seite 260).
4. Vom Balztanz verführt
Es ist wie in der Liebe. Am Anfang einer (Arbeits-)Beziehung steht das Balzen. Die Firmen wenden eine Doppeltaktik an: Zum einen rücken sie ihre schönste Seite ins Rampenlicht, etwa das demokratische Firmenleitbild. Zum anderen vermitteln sie dem Bewerber den Eindruck, sein Eintritt in die Firma sei ein großes Ereignis. Das Ego des Bewerbers schnurrt wie ein Kätzchen. Er denkt sich heimlich: Kann eine Firma, die ein so scharfes Auge für meine Qualitäten hat, wirklich blind sein? Oh ja, sie kann!
5. Glaube an Besserung
Mancher Bewerber sieht sich als Herkules, stark genug, den ganzen Schweinestall auszumisten: Noch ist die neue Firma zwar ein Irrenhaus (wie er hellsichtig erkennt) – aber das wird sich ändern, wenn er erst einmal zur Forke greift. Als könnte man, wie ein Teufelsaustreiber, die Firma vom Irrsinn befreien.
Doch bald wird er merken: Wo jeden Tag Berge an irrsinnigem Mist produziert werden, ist die Forke der Vernunft nur eine Kuchengabel, viel zu klein, um etwas auszurichten. Wer ein Irrenhaus als vernünftiger Mensch betritt, hat keine Garantie dafür, dass er es im selben Zustand wieder verlässt. Der Irrsinn färbt ab.
6. Das vorschnelle Ja-Wort
Die meisten Bewerber sehen eine Firma zwei Stunden und zwei Vorstellungsgespräche lang von innen, ehe sie vertraglich ihrer Einweisung zustimmen. Das ist so, als würde man einen Partner heiraten, den man zwei Stunden zuvor kennengelernt hat. Nur dass Arbeitsverhältnisse meist nicht durch Tod, sondern durch Kündigung geschieden werden. Oder durch Irrsinn, der nicht auszuhalten ist.
Selbst eine einfache Maßnahme könnte das vorschnelle Ja-Wort verhindern: Wie wäre es, vor Unterschrift des Arbeitsvertrages einmal nach Feierabend an der Bushaltestelle vor der Firma einzusteigen, die Gesichter zu
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