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Ich arbeite in einem Irrenhaus

Ich arbeite in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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war immer derselbe: Der Geschäftsführer, ein Mann mit Allmachtsphantasien, riss alle wichtigen Aufgaben an sich und pfuschte seinen Spezialisten ins Handwerk. Zwei eilfertige Führungshelfer gingen ihm dabei zur Hand.
    Nachschub vom Arbeitsmarkt floss zunächst noch reichlich. Doch dann ließ die Zahl der Bewerbungen spürbar nach, ebenso die Qualität der Bewerber. Der Grund lag auf der Hand: In der kleinen Branche hatten die Irrenhaus-Abgänger herumerzählt, welcher Wahnwitz hinter den Firmenmauern regierte. Dieser Hölle wollte sich kein qualifizierter Spezialist freiwillig aussetzen.
    Mit jeder Position, die nicht adäquat besetzt wurde, sank die Arbeitsqualität, wurden Kunden unzufriedener und blieben schließlich Aufträge aus. Am Ende zogen die Inhaber die Notbremse. Der Geschäftsführer musste gehen. Seine beiden treuen Führungsadjutanten ebenfalls. Ein neuer Mann kam, baute eine moderne Firmenkultur auf und schaffte es nach einigen Jahren sogar, ehemalige Mitarbeiter zurückzugewinnen.
    In diesem Fall war es den Mitarbeitern gelungen, dem Irrsinn den Garaus zu machen. Wollen wir wetten, dass dieses Prinzip auch andernorts funktioniert? Denn was tut eine Firma, wenn sie nicht mehr genügend Leistungsträger finden oder halten kann? Zum Beispiel fragt sie sich: »Was könnte diese Hochqualifizierten reizen? Welche Entwicklungschancen, welche Mitspracheinstrumente, welche Firmenkultur müssen wir ihnen bieten, um sie für uns zu gewinnen?«
    Diese Situation wäre neu: Nicht die Mitarbeiter würden sich den Bedürfnissen der Firmen anpassen, sondern die Firmen nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter richten – eine Entwicklung, die der Management-Vordenker Peter F. Drucker schon lange kommen sah (siehe Seite181) und die sich in den nächsten Jahrzehnten beschleunigen wird, weil die Arbeitskräfte knapp werden, immer weniger Junge nachrücken und immer mehr Alte in Rente gehen.
    Eine solche Abstimmung mit den Füßen fällt umso eindrucksvoller aus, wenn zum Beispiel ausscheidende Mitarbeiter ihrer Firma eine ehrliche Rückmeldung geben. Wer gekündigt, sein Zeugnis bekommen und daher nichts mehr zu verlieren hat, sollte seinem Arbeitgeber verraten: Warum geht er?
    Dabei ist ein konstruktiver Ton wichtig. Sagen Sie nicht, was Sie gestört hat – sondern leiten Sie daraus Wünsche ab. Zum Beispiel hätte ein Abgänger des oben genannten Maschinenbauers sagen können: »Ich hätte mir eine Firmenkultur gewünscht, die mein Fachwissen mehr würdigt. Ich hätte es geschätzt, wenn Entscheidungen mehr nach sachlichen Gesichtspunkten gefällt worden wären – und weniger nach Hierarchie.«
    Ich garantiere Ihnen: Wenn zahlreiche Leistungsträger mit ähnlichen Begründungen kündigen, dann kommen sogar die dickköpfigsten Irrenhaus-Direktoren ins Grübeln. Weil sie ihr Geschäft in Gefahr sehen.
    Denn zwischen den heutigen Firmen und den Fabriken der Industrialisierung gibt es einen gravierenden Unterschied. Damals waren die Mitarbeiter ebenso austauschbar wie die Maschinenteile. Jeder, der zwei gesunde Hände hatte, konnte die Arbeit am Fließband verrichten. Die Bewerber standen vorm Fabriktor Schlange. Man hätte alle Mitarbeiter über Nacht austauschen können. Und ein paar Tage später wäre die Produktion wieder auf altem Niveau gelaufen.
    Aber was bliebe von einem heutigen Weltkonzern übrig, wenn über Nacht alle Mitarbeiter ausgetauscht würden: die Forscher und Entwickler, die Marketingstrategen und die Vertriebsprofis, die Personalentwickler und die Führungskräfte? Nichts, außer ein paar Immobilien und heilloser Inkompetenz. Ein geschäftsunfähiges Geschäft. Der Weltkonzern wäre vom Erdboden verschwunden.
    Im Zeitalter der Wissensgesellschaft findet der wichtigste Teil der Arbeit an einem Ort statt, zu dem die Chefs keinen Zutritt haben: in Ihrem Kopf. Nahezu alle Arbeitnehmer sind Spezialisten, beherrschen ihr Fachgebiet besser als ihre Vorgesetzten. Die Firma ist auf Sie angewiesen. Mit Ihnen geht (oder kommt) wertvolles Wissen.
    Nur wer als Mitarbeiter diese neue Macht realisiert, wer sich nicht blind den Ansprüchen der Firma unterwirft, sondern selbst Ansprüche stellt und sich bei seiner Firmenwahl danach richtet – nur der kann den Irrsinn hinter sich lassen. Und je mehr Mitarbeiter so handeln, desto mehr kommt es zu einer Evolution, an deren Ende die unzumutbaren Irrenhäuser ausgestorben sein werden.
    Nun könnten Sie einwenden: »Die meisten Menschen sind doch froh, wenn sie heute

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