Ich beschütze dich
durch, so gut es geht.«
»Sonia, du könntest mir wirklich helfen«, sagt Helen. »Ich weiß ja, dass du mich nicht decken willst, das verstehe ich auch. Aber du könntest dich umhören. Könntest herausfinden, ob jemand Jez an diesem Nachmittag gesehen hat. Regelmäßig das Ufer ablaufen und nach Spuren suchen. Vor Alicia wollte ich das nicht sagen. Ich habe Angst, dass es schlimmer ist, als ich erst dachte, dass ihm etwas unvorstellbar Schreckliches zugestoßen ist.«
»Will die Polizei nicht selbst noch mal suchen?«, frage ich.
»Doch, doch. Das haben sie gesagt. Sie wollen alle noch mal befragen. Aber in manchen Dingen halten sie sich offenbar lieber bedeckt.« Helen mustert mich mit einem seltsamen Blick. »Entschuldige, beunruhigt dich das, Sonia?«
»Mich beunruhigen? Warum sollte es mich beunruhigen?«
»Du wirkst erschrocken. Niemand lässt sich gern von der Polizei befragen. Davon hatte ich in den letzten zwei Wochen selbst genug, das kannst du mir glauben. Man hat ständig diese Sorge im Hinterkopf, sie würden einem nicht glauben, dass man unschuldig ist. Mir geht es immer noch so.«
»Ach, deswegen mache ich mir keine Sorgen«, sage ich. »Wobei: denk mal an die ganzen Justizirrtümer, für die die Polizei im Laufe der Jahre verantwortlich war.«
»Genau«, meint Helen. »Wem sagst du das. Eine Zeitlang habe ich gedacht, sie verhaften mich sowieso, egal, was ich sage. Ich habe mir schon ausgemalt, ich würde für den Mord an Jez verurteilt und den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen. Aber unsere wirken richtig clever, das muss man ihnen lassen. Ihretwegen habe ich sogar meine Meinung über die Polizei geändert. Ich weiß ja nicht, vielleicht werden sie heutzutage auch psychologisch geschult.«
Ich stehe auf.
»Und du hast ihnen nicht gesagt, wo du Freitagvormittag warst?«
»Sonia, das kann ich nicht.«
»Ich helfe, soweit es geht«, verspreche ich. »Ich muss jetzt los.«
»Wollen wir nicht noch was trinken?«, fragt Helen, als ich gehen will. Ich schüttle den Kopf, worauf sie zur Bar geht, um ein weiteres großes Glas Wein zu bestellen.
K APITEL Z WEIUNDDREISSIG
Montagabend
Sonia
Zu Hause räume ich so schnell wie möglich die Küche auf und gehe direkt nach oben zu Jez. Über mein Gesicht strömt Hitze, als ich mich über ihn beuge. Er wimmert, wacht aber nicht auf. Er riecht nach Krankheit, ein stechender, heftiger Geruch. Ich hole von unten Paracetamol. Rüttle ihn wach, bringe ihn dazu, zwei Tabletten mit etwas Wasser zu schlucken. Er fällt zurück und schläft wieder ein. Auf der Matratze ist gerade genug Platz für mich. Ich lege mich neben ihn, für eine Stunde, vielleicht auch zwei.
»Was sollen wir nur machen, Jez?«, flüstere ich.
Ich fürchte, er hat noch weiter abgenommen. Sein Hüftknochen fühlt sich unter meiner Hand spitz an. Er hat seine sanften Konturen verloren. Auch sein Gesicht ist schärfer geschnitten, das Dämmerlicht zeichnet dunkle, eckige Schatten unter seine Wangenknochen.
Nach jedem Boot, das vorbeifährt, rauschen Wellen ans Ufer. Hin und wieder flackert Licht über die Wand. Als ich mich von der Seite auf den Rücken drehe und seine Haarsträhne loslasse, die ich in den Mund genommen hatte, höre ich die Türklingel auf der Flussseite. Ich erstarre. Wieder klingelt es, es hört nicht auf. Wenn es so weitergeht, wacht Jez auf und findet mich hier. Er könnte laut rufen, was man in der nächtlichen Stille vielleicht unten hören würde. Ich hieve mich aus dem warmen Mief unter der Decke, nehme meine Stiefel in die Hand und schleiche auf Zehenspitzen hinaus. Ich schließe die Tür ab, laufe nach unten und durch den Flur. Jemand klopft energisch an das Wohnzimmerfenster. Eine Stimme ruft: »Sonia, Sonia, bitte mach auf! Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll!«
Über den Hof zur Tür in der Mauer. Aus dem schlammigen Flussbett stinkt es überwältigend nach Schwefel. Es muss Ebbe herrschen. Auf dem Fußweg wirbelt ein frischer Wind Müll auf. Ich schaudere.
»Helen! Was ist los? Schrei doch nicht so!« Ich halte die Tür dicht bei mir. Helen ist ganz aufgelöst. Ihr Gesicht wirkt in dem orangefarbenen Licht der Laterne zerknautscht. Sie muss noch mehr getrunken haben, nachdem ich gegangen bin.
»Ich habe sie zusammen erwischt!«
»Was?«
»Lass mich doch rein, ja?«
Mein Instinkt sagt mir, dass es bei ihrem Zustand einfacher sein dürfte, ihr nachzugeben als abzulehnen. Ich nehme sie mit über den Hof. In der Küche deute ich auf
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