Ich beschütze dich
gemerkt, dass es nicht mehr uncool ist, wenn Jungen auf ihre Körperpflege achten. Ich dachte, meine beiden könnten sich etwas mehr Mühe geben. Aber mit meiner Schwester kann ich nicht mithalten. Sie war als Mutter wohl erfolgreicher als ich.«
Kirwin beugte sich vor. »Was meinen Sie mit erfolgreicher? In welcher Hinsicht?«
»Ach, in vielerlei Hinsicht. Jez ist nur für ein paar Bewerbungsgespräche hergekommen, trotzdem hat ihm Maria seine Gitarre mitgegeben und ihm mehrere ordentliche Outfits eingepackt. Ich wäre mit meinen Jungs nie so gut organisiert gewesen. Dann hatte ich Sorge, mir würde nichts einfallen, was ich ihm auf der Rückfahrt im Auto erzählen kann. Teenager – zumindest meine – können ja ganz schön einsilbig sein. Aber Jez war – ist – wirklich reizend! Wahrscheinlich, weil er nur Erwachsene um sich hat. Bis vor Kurzem war er ein Einzelkind. Sein Vater hat wieder geheiratet, und jetzt hat Jez eine kleine Halbschwester, aber er sieht sie selten. Jedenfalls war er deutlich gesprächiger, als meine Söhne es je wären. Natürlich fragt man sich dann, ob man selbst daran schuld ist. Wahrscheinlich machen Eltern sich immer Vorwürfe.«
Helen blickte den Polizeiburschen an, aber er hatte sich weggedreht und sah aus dem Fenster, vielleicht betrachtete er auch sein Spiegelbild in dem dunklen Glas. Dabei steckte er sich den Kugelschreiber in eine Socke.
»Josh, Sie machen ja hoffentlich Notizen«, sagte Kirwin, und der Junge schreckte auf.
»’tschuldigung«, sagte er.
»Sie haben Jez also mit Ihrem Auto abgeholt?«
»Ja. Ich war leicht sauer, weil ich die City-Maut zahlen musste. Eher auf meine Schwester als auf ihn. Ich hätte meine Kinder mit der U-Bahn fahren lassen. Meine Schwester hat Jez immer mehr betüddelt als ich meine beiden, vielleicht, weil er ihr einziges Kind ist.«
»Würden Sie also sagen, dass Jez etwas unerfahren ist?«, fragte Kirwin. »Dass er in London vielleicht nicht allein zurechtkäme? Nur so als Gedanke.«
»Könnte sein«, sagte Helen. »Auf jeden Fall ist er etwas unbedarft. Auf dem Weg hierher ist ihm aufgefallen, dass er kein englisches Geld hat. Ich musste an der Bank anhalten, einen Parkplatz suchen und mit ihm an den Wechselschalter gehen. Er konnte nichts dafür, wenn überhaupt, war meine Schwester schuld. Warum hat sie ihm kein Geld mitgegeben, wenn sie sonst ständig die Hand über ihn hält? Ich würde also schon sagen, dass er es gewohnt ist, dass man ihm Dinge abnimmt. Er ist ein bisschen unbedarft. Wo Sie schon fragen.«
Sie stockte.
»Er ist vielleicht etwas verwöhnt, aber auch beliebt. Er wird richtig bewundert. Von meinen Söhnen, der Band, natürlich von seiner Freundin, sie himmeln ihn an. Aber meine Jungs haben ihn irgendwas genannt. Wie war das noch? Ja, richtig. Sie haben gesagt, er wäre ein Knecht.«
»Ach?«
»Das heißt, dass er sich alles sagen lässt«, warf Josh ein und drehte sich endlich um.
»Stimmt«, sagte Helen. »Anscheinend schlägt er seiner Freundin nur ungern etwas ab. Oder auch anderen. Er stellt gern jeden zufrieden. Ist höflich. So jemanden nennen sie jetzt wohl einen Knecht. Komisch.«
»Mit seiner Freundin haben wir gesprochen. Die beiden sind schon länger zusammen.«
»Es ist wirklich süß. Sie sind in Kontakt geblieben, als er nach Paris gezogen ist.«
»Wann war das?«
»Oh, das muss jetzt zwei Jahre her sein. Meine Schwester – seine Mutter – arbeitet da in einem Vorort. Sie ist in der Modebranche.«
»Und für die Oberstufe wollte er zurückkommen?«
»Ja. Er hat sich zwei Schulen angesehen, die Musik anbieten. Bei einer davon hat sich auch einer meiner Söhne beworben. Sie wollen beide in dieselbe Musikklasse. Hier in Greenwich. Sie werden es nicht beide schaffen. Es gibt ganz wenige Plätze. Ohne Jez hätte Barney eine Chance gehabt. Aber Jez ist viel talentierter. Und meine Schwester treibt ihn an. Er hat LRS , eine Lese-Rechtschreibschwäche, aber das beeinflusst ihn nicht beim Spielen. Er wird dadurch höchstens noch kreativer.«
»Sie haben gesagt, die Leute würde ihn anhimmeln. Ist Ihnen irgendwann aufgefallen, dass ihn jemand belästigt hat?«
»Wie meinen Sie das?«
»Hat er jemanden erwähnt? Oder sich wegen etwas Sorgen gemacht?«
»Nein. Nichts. Sie könnten seine Freundin fragen, wahrscheinlich wüsste sie eher etwas.«
»Und in der Woche, in der Jez hier war, haben Sie sich nicht mit ihm oder seiner Mutter gestritten.«
Helen rutschte hin und her. Tappte sie gerade in
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