Ich beschütze dich
Nächten verschwunden, und dir ist das offenbar völlig egal. Ich schätze, du willst das hier haben, oder?« Er stellte eine Weinflasche in einer Kühlmanschette auf die Anrichte.
Als sie nach der Flasche und einem Glas griff, klingelte es an der Tür. Mick öffnete. Durch die Küchentür sah Helen, wie Alicia durch den Flur näher kam. Sie sah schrecklich aus, noch dünner, und auf ihrer Stirn zeichneten sich Pickel ab.
»Komm rein, Alicia«, bat Helen.
»Haben Sie noch nichts gehört?«
Helen schüttelte den Kopf. »Setz dich, Liebes. Was willst du trinken? Du siehst aus, als könntest du einen Schluck gebrauchen.« Helen deutete auf den Wein, aber Alicia schüttelte den Kopf.
»Alkohol rühre ich nicht an«, sagte sie. »Aber eine Tasse Tee wäre nett. Ich bin den Tunnel noch mal abgelaufen und ganz schön kaputt.«
»Ich mache dir eine Tasse fertig.«
»Ich dachte schon, jemand sollte einfach rumfahren und nach ihm suchen«, sagte Alicia. »Zu Fuß dauert es ewig. Und es ist eiskalt da draußen. Ich wollte mal fragen, ob Sie das schon gemacht haben.«
Maria hatte Stimmen gehört und kam in die Küche.
»Alicia will nach Jez suchen«, erklärte Helen ihr. »Sie meint, wir sollen uns ins Auto setzen und einfach durch Südlondon fahren, bis wir ihn finden. Mir gefällt die Idee.«
»Alles andere habe ich schon versucht«, sagte Alicia. »Aber ich gebe nicht auf.«
Helen war sicher, dass Maria die Lippen kräuselte, als sie Alicias ziemlich schrillen Südostlondoner Akzent hörte.
»Das ist Aufgabe der Polizei«, sagte Maria. »Wir können eher hier etwas ausrichten, wenn wir die Facebook-Seite im Auge behalten. Anrufe beantworten.« Sie blickte zu Mick auf, der nickte.
»Was möchtest du trinken, Maria?«, fragte er.
Sie warf einen Blick auf Helens Weinglas.
»Nichts Alkoholisches. Ich muss einen klaren Kopf behalten. Nur für den Fall.«
»Geh ins Wohnzimmer, ich bringe dir eine Tasse Tee. Der Kamin brennt schon.«
Alicia zog die Augenbrauen hoch, als Mick Maria aus der Küche folgte, und Helen verzog das Gesicht, während sie Alicia eine Tasse süßen Tee reichte. Der Besuch des Mädchens wirkte seltsam tröstlich auf sie.
Sie setzten sich an den Küchentisch, und Helen trank ihren Wein, während Alicia redete und Vollkornkekse aß. Sie erzählte Helen, wie sie mit Jez nach seinem Umzug nach Paris über MSN den Kontakt gehalten hatte. Wie gut sie sich verstanden. Wie gut man mit ihm reden konnte, dafür, dass er ein Junge war.
»Ich weiß ja, dass sie Ihre Schwester ist«, sagte Alicia, »und ich will auch nicht lästern, aber Jez’ Mutter ist seltsam. Und sie mag mich nicht.«
»Jetzt komm aber«, sagte Helen. »Woher willst du das wissen?«
»Sie fragt mich nie was. Das ist komisch, weil ich Kunst mag und sie ja was in der Richtung macht. Und Jez hat es auch nicht leicht. Er sagt, meine Mum treibt mich ständig an. Sie ist ein Snob. Er soll immer bei allem der Beste sein. Den Druck hält man nicht aus.«
Helen erwärmte sich langsam für das Mädchen, das Jez offensichtlich anhimmelte, doch durch das ganze oberflächliche Zeug den Jungen hinter der Gitarre und dem guten Aussehen erkannte.
Vielleicht würde Alicia bei dieser ganzen Geschichte ja noch zu ihrer einzigen Verbündeten.
»Hör mal, ich fahre gerne irgendwann herum. Aber es ist dunkel, wir würden nicht viel sehen, und ich fürchte, ich habe etwas getrunken. Warten wir noch ein bisschen. Ich bin froh, dass du hier bist. Zusammen finden wir Jez, Alicia. Wir brauchen Maria und Mick nicht, und auch nicht die Polizei. Wir müssen nur zusammenhalten.«
Alicia hob die Hand, und sie klatschten ab.
K APITEL V IERZEHN
Donnerstagabend
Sonia
Früher gab es für mich keine größere Freude, als meine Tochter zu sehen. Seit sie im letzten Oktober ausgezogen ist, haben mich nur ihre Besuche aufrechterhalten. Sogar ihre lästigen, überpeniblen Angewohnheiten – Oberflächen mit Desinfektionsspray abzuwischen, sich vor dem Essen die Hände mit antibakteriellem Gel einzureiben –, sogar sie haben mein Herz irgendwie erfüllt. Dass ich diesen ganzen, neuen, erwachsenen Menschen geschaffen habe. Aber heute, an dem Morgen, an dem sie ankommen will, bin ich kribbelig und angespannt.
Seit sie nach Weihnachten zurückgefahren ist und Greg öfter verreist, genieße ich die Einsamkeit. Als ich das Flusshaus für mich hatte, habe ich voller Erstaunen Dinge bemerkt, die ich in den Jahren davor kaum zur Kenntnis genommen hatte. Die Messlatte aus
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