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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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achten – das verlangte ich mir ab, wenn ich mit Seb zusammen war, damit er mich nicht als Schwächling verspotten konnte. Ich zog die Fischkiste an den Strand.
    »Perfekt für ein Floß!«, meinte Seb. »Dann können wir abhauen und uns vor allen verstecken. Keiner kann uns aufhalten, Sonia! Wir paddeln weg wie die Schwäne. Wir verschwinden einfach!«
    Lächelnd sah ich ihn an. Die Idee war verrückt, aber dafür liebte ich Seb. Er glaubte immer, wir könnten das Unmögliche erreichen.
    »Cool. Genau richtig als Grundlage. Wenn es fertig ist, können wir zur Isle of Dogs rüber. Und von da unsere Flucht planen.«
    »Ist es denn sicher?«
    »Das geht schon. Aber wir brauchen ein Ruder. Und so was wie einen Rand, damit wir nicht runterfallen. Und was für den Auftrieb. Und eine Fangleine. Hol mal den Autoreifen, daraus können wir einen Sitz basteln.«
    Mit Auftrieb kannte ich mich aus. Wenn man am Wasser lebt, geht einem das in Fleisch und Blut über. Ich hatte das in den Ruderbooten und auf den Motorbarkassen gelernt, mit denen ich schon gefahren war. Ich füllte Plastiktüten mit Styroporteilen, die damals zuhauf entlang der Flutmarke lagen. Währenddessen sammelte Seb alles Mögliche vom Strand ein, Ölfässer, Teile von Bierfässern, Treibholz und Taue. Wir brauchten fast den ganzen Tag, um das Floß zu bauen, immer wieder wateten wir ins Wasser, um es auszuprobieren, fingen noch mal von vorne an und bauten es um, bis es so weit war, uns über den Fluss zu tragen. Stundenlang knoteten wir zerfetzte Teile von ausgemusterten Fischernetzen zwischen zwei Seilen zu einer Leiter zusammen.
    »Damit können wir drüben die Mauer raufklettern«, sagte Seb. »Aber wir müssen auf die Flut warten. Wenn die Leiter an der Mauer nicht bis oben reicht, bringt es nichts.«
    Es wurde schon dunkel, als der Fluss hoch genug stand, um das Floß zu Wasser zu lassen.
    Es hatte aufgefrischt, der Wind trieb Wellen flussaufwärts. An beiden Ufern, im Norden und im Süden, gingen nach und nach gelbe Lichter an. Auch mitten auf dem Fluss flackerten sie auf, auf den vertäuten Schiffen und den kleineren Wasserbussen, die ihre letzte Fahrt des Tages auf der mittlerweile bronzefarbenen Themse unternahmen.
    Ich überlegte, was wir machen sollten, falls ein Schiff den Fluss heraufkam und wir nicht ausweichen konnten, aber Seb meinte, es würde schon nichts passieren, also hielt ich den Mund. Schlimmstenfalls, dachte ich, springen wir einfach ab und schwimmen. Wie üblich war mir Sebs Respekt wichtiger als meine eigene Sicherheit.
    Leise stahl ich mich ins Flusshaus, um wasserdichte Kleidung zu holen. Neoprenanzüge benutzte man damals noch nicht. Im Haus war alles ruhig. Was mich am Morgen auch so aufgeregt hatte, es war verflogen. Ich nahm für uns zwei Ölmäntel von den Haken und stieg wieder die Treppe hinunter, gegen deren Fuß das Wasser schwappte.
    »Jetzt kommt der Stapellauf«, sagte Seb. »Sie braucht einen Namen, Sonia. Wie sollen wir sie nennen?«
    »Tamasa«, antwortete ich.
    »Tamasa?«
    »Das ist der alte Name der Themse. Er bedeutet ›dunkler Fluss‹. Das hatten wir in der Schule. Und der Fluss ist jetzt fast dunkel.«
    »Na gut. Wir zerschlagen eine Flasche an ihr. Für eine richtige Schiffstaufe.«
    Wir stellten uns auf die Treppe. Seb band ein Stück Seil um den Griff von einem der Ölfässer, die Tamasas Basis bildeten, knotete eine volle Flasche Brown Ale an das andere Ende und warf sie mit Schwung gegen das Floß. Er brauchte mehrere Anläufe. Am Ende mussten wir die steinernen Treppenstufen zu Hilfe nehmen, aber schließlich zerbrach die Flasche, Blasen zischten auf dem Wasser und vermengten sich mit dem giftigen Schaum am Rand des Flusses.
    Wir gingen die letzten beiden Stufen in die aufgewühlte Flut hinunter. Ich hatte mich schon damit abgefunden, was jetzt kommen würde, und ohne auf das Wasser zu achten, das mir in die Stiefel lief, schob ich mit Seb das Floß auf die Wellen hinaus. Wir sprangen hinauf, legten uns auf den Bauch und machten uns auf den Weg über das neblige Wasser. Seb paddelte wie ein Verrückter drauflos, doch nach ein paar Minuten gab er auf. Die Strömung war viel stärker als sein Ruder. Es war sinnlos, steuern zu wollen. Der Fluss würde mit uns tun, was er wollte.
    Es dauerte nur Sekunden, bis wir beinahe die Mitte erreicht hatten. In der zunehmenden Dunkelheit wirkte das Ufer weiter entfernt denn je. Das Floß trieb nur knapp über der Wasseroberfläche.
    »Uaaah!« Seb schrie auf, als die

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