Ich beschütze dich
meinen Mantel über die Einkaufstasche mit Jez’ Kleidung und gehe zum Anrufbeantworter, ohne die Arbeiter im Wohnzimmer zu beachten. Die Stimme meiner Mutter klingt barsch und vorwurfsvoll. Auch wenn sie manches in ihrem Leben vergisst, funktioniert ihr Gedächtnis so gut wie bei einem Kind, wenn es um meine Besuche geht. Der am Samstag war eingeplant, und dass ich nicht erschienen bin, wird sie mir nachtragen. Ich werde länger bei ihr bleiben müssen als sonst. Und ich nehme eine Extraflasche Gin, Blumen und Käse mit. Egal, was sie glaubt, ich möchte sie nicht noch trauriger machen, wenn sie ohnehin so viel Zeit allein verbringt. Und ich ertrage ihr Missfallen nicht. So schwierig es auch für mich ist, ihre Zuneigung zu gewinnen, gebe ich den Versuch doch nie auf.
Ich entschuldige mich am Telefon und verspreche, ich würde morgen kommen. Dann drücke ich auf den Knopf für den nächsten Anruf und höre Helens Lallen.
»Es war gestern schön mit dir, Süße. Können wir uns bald wiedersehen? Kannst du vielleicht morgen ins Pavilion kommen, so gegen elf? Sag Bescheid, ich muss dir die nächste Folge von diesem Albtraum erzählen. Bitte komm.«
Wenig später haben wir Gitter vor allen Fenstern, bessere Schlösser in beiden Türen und ein neues Vorhängeschloss an der Tür in der Mauer.
»Da kommt niemand rein, Sonia«, sagt Greg zufrieden, als die Schlosser gegangen sind. Und wahrscheinlich kann ohne die richtigen Schlüssel auch niemand mehr hinaus, denke ich. Greg erzählt, dass er sich heute Abend im Pub mit ein paar alten Freunden treffen will, mit denen er früher Gitarre gespielt hat. Also kann ich wieder in die Garage gehen.
Jez blickt auf, als ich die Tür hinter mir schließe. Er beklagt sich über Schmerzen.
»Möchtest du etwas essen?«
»Eher nicht.« Seine Stimme klingt heiser und schwach.
Ich fühle seine Stirn. Er scheint mir kein Fieber zu haben, aber seine Haut ist feuchtkalt, und er sagt, er habe Halsschmerzen. Das höre ich gar nicht gerne.
»Ich hole schnell ein paar Sachen von zu Hause«, sage ich. Ich laufe über den Fußweg zum Flusshaus, erwärme eine Dose Tomatensuppe und schütte sie in eine Thermosflasche. Dann lege ich einen Pack Orangensaft und ein paar Paracetamol in einen Korb und fülle eine Wärmflasche.
»Haben Sie mir das Gras besorgt?«, fragt er zitternd.
»Ich habe doch schon gesagt, ich bin dabei. Eigentlich solltest du nicht rauchen, wenn es dir nicht gut geht. Und zu den … Ach, schon gut. Aber schau mal, ich habe dir neue Sachen mitgebracht. Und hier ist Saft. Der wird dir guttun.«
Ich helfe ihm beim Umziehen, dann lege ich die Wärmflasche unter die Decke, stelle seine Suppenschale auf eine alte Teekiste neben dem Bett und schüttele ihm die Kissen auf.
»Greg hat für morgen Nachmittag einen Flug gebucht«, erzähle ich ihm. »Also kommst du morgen hier raus. Versprochen.«
Er sieht zu mir hoch und mustert lange mein Gesicht, bevor er die Wange auf das Kissen fallen lässt. Ich höre, wie es pfeift, wenn er mühsam ein- und ausatmet. Mir fällt ein, dass er erzählt hat, seine Mutter sei auch wegen seines Asthmas umgezogen.
»Jez, komm schon. Du musst bei Kräften bleiben. Iss etwas Suppe.«
»Es geht mir nicht gut. Ich glaube, ich brauche einen Arzt, Sonia.«
»Du brauchst keinen Arzt!«, widerspreche ich schroffer, als ich wollte. »In deinem Zustand sind Ärzte keine Hilfe. Ich muss das wissen, Greg ist Arzt. Wenn jemand krank ist, ist er zu nichts zu gebrauchen.«
Ich strecke die Hand aus, mit zwei weißen, runden Tabletten auf der Handfläche, und biete ihm das Wasserglas an.
»Woher weiß ich, dass das nicht wieder irgendwelche Drogen sind?«, fragt er.
»Du kannst sie dir ansehen. Auf den Tabletten ist Paracetamol eingestanzt. Warum vertraust du mir nicht? Ich verstehe das nicht. Was geht in deinem Kopf vor sich?«
Statt zu antworten, hebt er den Kopf und lässt sich eine Tablette auf die Zunge legen. Er trinkt einen Schluck Wasser.
»Mir wird einfach nicht warm«, sagt er und lehnt sich zurück. Er zittert, trotz des neuen Kapuzenpullis, der Wärmflasche und der drei Oberbetten, die ich über ihn gebreitet habe.
»Morgen können wir neu anfangen, das verspreche ich dir. Ich kneble dich nicht mehr. Zeig mir, dass ich dir vertrauen kann. Dann kann ich dir auch das Klebeband von Händen und Füßen abnehmen.«
Ich stehe auf und gehe zur Tür.
»Gehen Sie nicht«, sagt er plötzlich. »Bleiben Sie, reden Sie mit mir.«
Ich drehe mich um
Weitere Kostenlose Bücher